Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
in Schweigen, durch das nur das schwache Knirschen ihrer Schritte und das Flüstern des Windes drang, sagte Ross schließlich: »Vermißt du Großbritannien eigentlich jemals, Juliet?«
»Manchmal«, gab sie ehrlich zu. »Ich vermisse das Grün. Seltsam, daß die Briten Regen nicht einfach als normal, sondern oft genug als Ärgernis ansehen. Hier ist das Wasser ein Geschenk Gottes.« Er nickte. »Hier werden Sonne und Hitze als normal und manchmal als Ärgernis betrachtet. In schlechten Sommern in England hält man diese Dinge für ein Geschenk Gottes.«
Sie lächelte ein wenig. »Ja, das ist schon wahr. Offenbar liegt es in der Natur des Menschen, sich immer nach dem zu sehnen, was selten vorkommt.« Dann verfiel sie wieder in Schweigen, weil sie nicht wußte, wieviel sie sagen konnte, ohne mehr einzugestehen, als sie es wollte. »So sehr ich Serevan liebe, werde ich doch in Persien immer eine Fremde bleiben. Ich habe erst wirklich begriffen, wie sehr ich durch europäische Werte geprägt bin, als ich begann, inmitten einer fremden Gesellschaft zu leben. Seltsam genug, aber ich habe weniger Probleme, mit den Männern auszukommen als mit den Frauen.«
»Ich denke, das liegt an deiner Art zu leben. Reiten, Waffentragen, Befehle geben . . . das ist hier alles den Männern vorbehalten. Du hast niemals das eingeschränkte Leben einer orientalischen Frau kennengelemt, also hast du mit ihnen nicht viel gemein.«
»So habe ich darüber noch nie nachgedacht, aber es scheint genau das zu sein.« Juliet lächelte selbstkritisch. »Zuerst habe ich versucht, etwas zu verändern. Ich wollte die Frauen von Serevan befreien, sie überzeugen, ohne Schleier herumzulaufen und mehr Respekt zu verlangen.« »Von deinem Tonfall schließe ich, daß du wenig Erfolg gehabt hast.«
»Überhaupt keinen.« Sie seufzte. »Die Frauen Serevans waren viel glücklicher mit Schleier, in ihren Frauenhäusern, mit ihrem abgeschlossenen Leben. Schließlich gab ich auf. Sogar Salehs Frau, die intelligent und klug ist, hörte mir zwar zu, zuckte dann allerdings die Schultern und meinte, daß sich das Leben einer Engländerin sehr unbequem anhört.«
»Kultur ist stärker als Ideologie«, bemerkte Ross, »und die meisten Leute leben besser damit, den Bräuchen zu folgen, mit denen sie aufgewachsen sind. Geborene Rebellen wie du sind selten.«
»So sieht es aus. Aber es tut mir leid, daß ich mit den Frauen hier so wenig gemein habe, denn es begrenzt die Freundschaften. Ich vermisse eine Freundin . . . und ganz besonders vermisse ich Sara.« Plötzlich hielt Juliet inne, als sie bemerkte, daß sie sich zu sehr dem gefährlichen Gebiet ihrer gemeinsamen Vergangenheit näherte.
Vielleicht fühlte er dasselbe, denn Ross wechselte das Thema. »Die Tatsache, daß du die Gesellschaft von Frauen genießen kannst, unterscheidet dich von Lady Hester Stanhope. Sie haßte ihre Geschlechtsgenossen und wäre wahrscheinlich glücklicher gewesen, wenn sie als Mann geboren worden wäre. Dann wäre sie vermutlich ein herausragender General oder Politiker geworden.« Juliet griff das neue Thema begeistert auf. »Stimmt ja, du hast ja Lady Hester besucht. Wann warst du da? Wie war sie denn so?« Ross zögerte. Offenbar hatten die langen Jahre die naive Bewunderung seiner Frau für die selbsternannte »Königin der Araber« nicht vermindert, und er wollte ihr die Illusionen nicht nehmen. »Ich lernte Lady Hester vor sechs oder sieben Jahren kennen. Sie war schlagfertig und hatte klare Meinungen. Launenhaft. Bewundernswert, aber auch bemitleidenswert.«
Juliet war entsetzt. »Wie kann so eine unglaubliche Frau wie Lady Hester bemitleidenswert sein? Es hat nie eine wie sie gegeben!« »Das ist sicher richtig.« Ross erkannte, daß er vorsichtig mit dem, was er sagte, sein mußte. Seine Frau hatte an diesem Abend bereits genug schlechte Nachrichten gehört. »Aber als ich sie besuchte, war ihre Gesundheit bereits schwer angegriffen, und sie verließ ihre Festung praktisch nicht mehr. Für eine Frau, die eine großartige Reiterin und passionierte Reisende gewesen ist, muß das sehr schwer gewesen sein.«
Etwas scheu gestand Juliet: »Als ich mich entschloß, in Serevan zu bleiben, schwor ich mir, genauso zu leben und zu handeln wie Lady Hester: Jeden Flüchtling, egal aus welchem Stamm und von welcher Herkunft, willkommen zu heißen - jeden in meinen Mauern zu beschützen und niemanden hungrig fortzuschicken.« Ihre Stimme klang verträumt. »Es verblüfft mich
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