Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
das ging über ihre Kräfte. Auf der Ferse herumwirbelnd, eilte Juliet das Ufer entlang, bis sie außer Sicht ihrer Gefährten war.
Schnell und unregelmäßig atmend, ging sie weiter, bis sie einen kleinen versteckten Teich fand, der von Binsen und Weiden abgeschirmt wurde. Sie war nicht länger in der Lage, sich zu beherrschen, und so kniete sie nieder und zog mit bebenden Händen den Tagelmoust vom Gesicht. Seit sie Serevan verlassen hatten, war sie Tag und Nacht in die Lagen von Tuch eingehüllt gewesen, und in ihrem jetzigen fiebernden Zustand hatte sie das Gefühl, daß es sie ersticken würde, wenn sie den Schleier noch eine einzige Sekunde länger trug.
Sie warf den Tagelmoust neben sich und schöpfte mit hohlen Händen Wasser aus dem Fluß, das sie sich über Gesicht und Hals spritzte. Die wunderbare Kühle linderte und beruhigte sowohl den Körper als auch den Geist.
Juliet hatte sich an diese Stelle zurückgezogen, weil sie allein sein mußte, doch als sie langsam ihre Fassung wiederfand, erkannte sie, daß sie dumm sein würde, die Gelegenheit zum Baden nicht beim Schöpf zu ergreifen. Rasch streifte sie die restliche Kleidung ab, löste ihr Haar aus dem dicken Zopf und tauchte ins Wasser. Es war angenehm kühl und liebkoste ihre Haut wie flüssige Seide. Ohne Probleme hätte sie den Rest des Tages im Fluß verbringen können, aber wenn sie zu lange fort war, würde sicher einer der Männer nach ihr suchen, also wusch sie sich so schnell es ging. Nachdem sie wieder ans Ufer geklettert war, nahm sie ihren Mantel, um sich provisorisch abzutrocknen und zog sich dann wieder an. Wirklich eine Schande, daß sie keine frische Wäsche dabeihatte!
Anschließend setzte sie sich in ihrem Gewand ans Ufer und fuhr sich mit den Fingern durchs nasse Haar. Die Knoten herauszubekommen, war eine zeitraubende Arbeit. Es wäre praktischer gewesen, die Mähne vor ihrer Reise abzuschneiden, aber sie hatte sich nicht dazu durchringen können. Ross hatte ihr Haar immer lang gemocht, und es so zu belassen war ein geheimes Geschenk an ihn, eines, das er niemals kennen würde. Und das ihn vermutlich nicht kümmern würde.
Während sie ihre Haare flocht, war sie so versunken in ihre Gedanken, daß sie die Schritte hinter ihr zuerst gar nicht wahrnahm. Im allerletzten Moment hörte sie das sanfte Knirschen und wappnete sich, Ross entgegenzusehen, obwohl sie hoffte, es wäre Saleh.
Es war weder Ross noch Saleh. Statt dessen rief Murad nun: »Jalal, wo bist du? Wir wollen weiter!«
Sie wirbelte den Kopf gerade in dem Augenblick herum, als der junge Perser aus den dichten Binsen trat. Als er das Gesicht und das kupferfarbene Haar sah, fiel Murad die Kinnlade herunter.
Sein Blick glitt zu dem vertrauten schwarzen Gewand, dann zurück zu ihrem Gesicht. »Jalal?« fragte er ungläubig.
Juliet stolperte auf die Füße und fluchte im Geist in jeder Sprache, die sie kannte. Ihre kurze Unachtsamkeit hatte all ihre Versuche, ihre Identität vor Murad zu verbergen, zunichte gemacht. Sie mochte nicht unbedingt den Frauen ähneln, die er kannte, aber der Mann war schließlich kein Idiot.
Nun, es war zu spät. Sie würde ihm die Wahrheit beichten müssen und ihn zu einem Teil ihrer Verschwörung machen, denn die einzige Alternative war, ihn im Fluß zu ertränken. Murad war Ross treu ergeben, und sie konnte damit rechnen, daß man ihm vertrauen durfte.
Ohne ihr übliches Knurren und ihren breiten Akzent begann sie in fließendem Persisch: »Besteht eine geringe Chance, dich zu überzeugen, daß alle Tuareg rotes Haar und bleiche, feminine Gesichter haben?«
Da er nun bestätigt bekam, was seine Augen längst sahen, stieß Murad hervor: »Bei dem Allmächtigen! Du bist eine Frau . .. eine Ferengi-Frau!«
»Stimmt«, erwiderte sie schlicht. »Doch auf einer Reise wie dieser schien es klüger, als Mann zu gehen.«
Seine dunklen Augen verengten sich. »Weiß Kilburn davon?« »Allerdings«, antwortete sie trocken. »Ich bin zufällig seine Frau.«
Murad dachte eine Weile darüber nach. »Aber du bist doch in Serevan zu uns gestoßen. Wenn du seine Frau bist, wie konntest du dann dort sein?«
»Ich bin die Herrin von Serevan und habe viele Jahre in Persien von meinem Mann getrennt gelebt. Saleh ist dort mein Verwalter«, erklärte sie. »Aber der Gefangene des Emir ist mein Bruder, also wollte ich Kilburn nach Buchara begleiten.«
»Ferengis erlauben ihren Frauen, sich so zu gebärden?« Er machte ein zweifelndes Gesicht.
Da sie Ross'
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