Wilder Als Ein Traum
durch ein blechernes Trara den Anfang des Gefechts.
Als der Riese den Hengst auf Sir Colins Pony zutrieb, brüllte die Menge vor Begeisterung. Tabitha warf sich die Hände vor die Augen, spähte jedoch vorsichtig zwischen ihren Fingern hindurch.
Colin nutzte die Größe seines Gegners aus und duckte sich geschickt unter dem ersten Lanzenhieb hindurch. Die mühelose Eleganz seiner Bewegung trug ihm den Applaus der Umstehenden ein, der jedoch unter Brisbanes bösem Blick ein schnelles Ende nahm.
Sir Orrick brüllte zornig auf. Tabitha fürchtete, dass Colin beim nächsten Mal sicher weniger Glück hätte. Der Schottenmörder erreichte das andere Ende des Feldes und wendete das Ross. Vielleicht spürte es die Nähe seines Herren, denn es schien, als hätte Orrick plötzlich Schwierigkeiten mit ihm.
In der Absicht, das Signal zu geben für die zweite Runde, beugte sich Brisbane erwartungsvoll nach vorn.
Entschlossen, Colin ein paar kostbare Sekunden der Erholung zu verschaffen, schob sich Tabitha eilig neben ihn. »Ich nehme an, Sie und Sir Colin waren früher einmal Freunde. Was hat Sie zu derart erbitterten Feinden gemacht?«
Verächtlich schnaubte er auf. »Das solltet Ihr besser meine Zwillingsschwester Regan fragen, Weib!«
»Und was würde die mir sagen?«
Brisbane schnaubte abermals. »Dass ihr kostbarer Colin niemals etwas Falsches tun würde. Regan hat immer stundenlang zugehört, wie er sich mit seinen Siegen brüstete - ja, sie hat ihn sogar noch ermutigt, sich endlos darüber auszulassen; mit welchem Eifer er Gott und seinem König dient.« Seine Stimme überschlug sich. »Einfach widerlich!«
Der Priester räusperte sich diskret, und als Brisbane merkte, dass alle ihn verwundert anstarrten, sprang er zornig auf.
»Bis zum Tod!« brüllte er, wodurch er sowohl Colins als auch Tabithas Schicksal endgültig besiegelte.
Tabitha verfolgte mit zugeschnürter Kehle, wie der Schottenmörder, die Spitze seiner Lanze auf Colins ungeschütztes Herz gerichtet, das Feld hinunterdonnerte. Colin blieb vollkommen reglos, und Tabitha merkte, dass sie ihn umöglich entehren konnte, indem sie sich die Augen zuhielt. Doch während der Tod in Gestalt eines monströsen Kalibers auf ihn zuraste, griff sie unwillkürlich nach dem unter ihrem Schlafanzug versteckten Amulett.
»Ich wünschte mir …«, flüsterte sie.
Brisbane sah zu ihr herüber und blickte stirnrunzelnd auf ihre um das Amulett geballte Faust.
»Ich wünschte mir …«, wiederholte sie inbrünstig.
Aber sie hatte allzu viele Jahre ihres Lebens absichtlich alle Wünsche unterdrückt, sodass ihr nun die notwendigen Worte partout nicht einfielen. Ihre Feigheit würde diesen tapferen jungen Ritter das Leben kosten!
Sir Colin von Ravenshaw bedurfte j edoch nicht der Magie.
Während sein eigener Hengst sich ihm todbringend näherte, stellte er sich mit schweißglänzender Brust und wehenden rabenschwarzen Haaren in die Steigbügel seines Ponys und brüllte so zornig auf, dass Tabitha das Blut in den Adern gefror. Sir Orrick ließ verblüfft die Lanze sinken und verfehlte damit sein Ziel. Colin jedoch rammte seine eigene Waffe zielsicher in den schmalen Spalt zwischen Orricks Kettenhemd und Helm, worauf der Schottenmörder blutend zu Boden stürzte.
Die Zuschauer sprangen auf die Füße, als Colin durch einen
schrillen Pfiff seinen Hengst an der wilden Flucht hinderte. Er schwang sich leicht vom Pony auf das Pferd, beugte sich hinab und zog Sir Orrick den Dolch aus seiner Scheide. Durch den Blutgeruch kopfscheu, bäumte sein Tier sich wieder auf - aber Colin beruhigte es, indem er ihm begütigend den Nacken tätschelte und auf es einsprach.
Er schob den Dolch in seinen Hosenbund und trieb den Hengst zu einem scharfen Galopp an. Brisbane trommelte auf das Geländer vor dem Podium und brüllte: »Ihr Narren, so haltet ihn doch auf!«
Seine Gefolgsleute hielten vor Schreck Maulaffen feil oder rannten in dem Bemühen, zu ihren Waffen und auch wieder zur Besinnung zu gelangen, wirr im Kreis. Colin beugte sich über den Hals seines Pferdes und überwand mit einem mühelosen Sprung den hohen Zaun.
Tabitha schnellte von ihrem Platz hoch und applaudierte wilder als je bei einem Spiel der New York Giants - ehe ihr klar wurde, dass er sie einfach ihrem Schicksal überließ. Dann umklammerte sie Hilfe suchend das Geländer, denn hinter ihren Augen stiegen unerwartet Tränen auf. Doch sicher hatte sie kein Recht, derart enttäuscht zu sein. Dies war kein Märchen
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