Wilder Als Ein Traum
unbewusst, so doch einladend geöffnet, dass es für Tabitha, als sie die Situation durchschaute, kein Zurück mehr gab.
Seine volle Unterlippe strich zärtlich, ja beinahe züchtig über ihren Mund, viel zu weich für einen derart harten
Mann, und schwindelnd vor Verlangen zog Tabitha in Erwägung, Brisbanes Wachen doch zu alarmieren - denn sicher wäre sie momentan viel besser dran, verlöre sie statt ihres Herzens ihren Kopf.
Lucy musste derselben Ansicht sein, denn mit empörtem Jaulen entwand sie sich Tabithas Griff. Der seltsame Zauber, der sie beide gefangen hatte, war gebrochen, und Tabitha und Colin machten jeweils einen Satz zurück.
Colin ballte seine Fäuste und starrte sie so zornig an, dass sie kurzfristig wünschte, er hätte sich bei dem Kuss auch in einen Frosch verwandelt wie ihr Galan zur Kinderzeit. Mit einem Frosch wäre sie sicher problemloser zurechtgekommen als mit einem achtzig Kilo schweren, schlecht gelaunten Ritter.
Verzweifelt überlegte sie, wie sich die Stille füllen ließ. »Es besteht wirklich kein Grund, alarmiert zu sein oder sich zu entschuldigen. Das illusorische Gefühl von Nähe ist eine vollkommen normale psychische Reaktion auf eine gemeinsam überstandene Lebensgefahr.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn und stieß ein nervöses Lachen aus. »Dieses relativ weit verbreitete Phänomen erklärt, weshalb in Kriegszeiten so viele Menschen überstürzt heiraten und weshalb gerade dann so viele Babys auf die Welt kommen …«
Er kreuzte die Arme vor der Brust, zog herausfordernd eine Augenbraue hoch, und eilig schloss sie ihren Mund.
Sein Stirnrunzeln verstärkte sich. »Ihr redet wirklich viel, Weib, aber sagt kaum etwas aus. Wie kommt es, dass Ihr auf alles eine Antwort habt außer auf die Frage, woher Ihr stammt?«
Tabitha fiel die Kinnlade herunter. Er hatte die Fäden ihres unterbrochenen Gespräches wieder aufgenommen, als hätte er zwischendurch weder ein Turnier bestanden, noch
als hätte man sie beide zu enthaupten gedroht, noch als wären sie zusammen überstürzt aus den Fängen eines Wahnsinnigen geflohen. Nicht einmal die Steuerberater, mit denen sie bisher zu tun gehabt hatte, verfügten über eine derartige Gedächtnisstärke.
Dieses Mal kam ihr weder ein Kerkermeister zu Hilfe, noch hatte sie eine Möglichkeit, Colins durchdringenden Blicken auszuweichen.
Da es wohl im Augenblick nicht recht passte, zu gestehen, dass sie eine Hexe auf Zeitreise war, kam Tabitha auf etwas zurück, was Brisbanes Hofnarr gesagt hatte. »Ich war mit einer Gruppe Komödianten unterwegs.«
Colin sah sie blinzelnd an. »Komödianten?«
»Ja, Komödianten«, wiederholte sie.
»Aha!« Zweifelnd nickte er mit dem Kopf. »Und was hattet Ihr mit diesen Komödianten zu tun? Habt Ihr vielleicht die Pantomime gemacht? Auf einem Seil getanzt?« Sein Blick fiel kurz auf ihre immer noch prickelnden Lippen. »Schwerter geschluckt?«
Tabitha hatte das Gefühl, eine ganze Lanze verschluckt zu haben, während sie verzweifelt überlegte, was für eine Belustigung sie ihm weismachen könnte. Ihre Ballettstunden hatten wenig rühmlich geendet, als ihr zu großer Fuß zwischen den Sparren des Bühnengerüsts stecken geblieben war; und aus dem Mädchenchor ihrer Privatschule wurde sie verabschiedet, weil sie ein Weihnachtskonzert durch einen linkischen Sturz gestört hatte.
»Magie«, platzte es schließlich aus ihr heraus. »Ich habe gezaubert!«
Colin legte den Kopf auf die Seite. »Ach ja. Und würdet Ihr mir vielleicht eine kleine Kostprobe Eures Könnens geben?«, fragte er mit mehr als einer Spur von Ironie.
»Vollkommen unmöglich!« Kopfschüttelnd trat sie einen weiteren Schritt zurück, wobei sie hoffte, dass er ihre Panik fälschlicherweise als Zeichen von Bescheidenheit wertete. »Schließlich möchte ich Sie nicht langweilen.«
»Bisher habe ich mich in Eurer Gegenwart noch keine Sekunde gelangweilt, Mylady«, antwortete er.
Von seinem Blick beunruhigt wich Tabitha noch mehr nach hinten und stieß mit dem Rücken gegen das Pferd, das erschrocken wieherte. Sie traute dem Amulett ihrer Mutter nicht genug, als dass sie die Formulierung eines echten Wunsches gewagt hätte. Sicher würde sie in dieser Wildnis keine Stunde überleben, verwandelte sie Sir Colin zufällig in ein Waffeleisen.
Dann jedoch erinnerte sie sich an einen simplen Trick, den ihr Daddy ihr beigebracht hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, und streckte eine ihrer Hände aus. »Haben Sie
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