Wilder Als Ein Traum
Freudenhäuser?«
»Seht Euch nur ihre Schuhe an!«, schrie ein Narr, der eine Schellenkappe trug. »Vielleicht war sie mit einer Gruppe Komödianten unterwegs!« Wie, um den Scherz noch zu steigern, schlug er am Ende seiner Worte einen Purzelbaum.
Als das Gelächter abebbte, schnaubte Brisbane auf. »Wohl eher mit einer Gruppe käuflicher Mädchen!«
»Vielleicht sollte man nicht ihr, sondern Euch die Zunge
herausschneiden«, grollte Colin, und das Blitzen seiner Augen verriet seinen heißen Zorn.
»Bitte verzeiht«, höhnte Brisbane ohne jedes Schuldgefühl. »Habe ich Euch vielleicht beleidigt, indem ich die Ehre Eurer Herzdame in Zweifel zog?«
Tabitha wartete darauf, dass Colin »Sie ist nicht meine Herzdame« oder irgendeine andere, beleidigendere Variante, etwa »Wie sollte sie irgendjemandes Herzdame sein!« zur Antwort geben würde; doch statt dessen starrte er Brisbane so lange eisig an, bis diesem ein erneutes herablassendes Schnauben über die Lippen kam.
Dann winkte Letzterer mit seinen im Sonnenlicht glitzernden, juwelenbesetzten Fingern zur Plattform hinauf. »Meine Gäste und ich wünschen sehnlichst ein wenig Belustigung - also habe ich beschlossen, Euch eine letzte Chance zu gewähren: Verteidigt die Ehre Eurer Liebsten ebenso wie Eure eigene!«
»Ich dachte, Ihr fändet eher Gefallen daran, Kinder zu schänden und Bären zu quälen«, lautete Colins nüchterne Erwiderung.
»Euch zu quälen ist ein wesentlich größerer Spaß für mich.«
Die eigenartige Mischung aus Verachtung und Vertrautheit, die das Geplänkel der beiden verriet, rief in Tabitha ehrliches Erstaunen wach. Bisher hatte sie angenommen, die beiden wären feindlich rivalisierende Barone im Streit um ihre Ländereien.
Mit hämischem Grinsen borgte sich Brisbane einen Lederhandschuh von einem der umstehenden Ritter und schlug ihn Colins ins Gesicht. Tabitha fuhr zusammen, Colin nicht. »Nehmt Ihr die Herausforderung an?«
»Mit dem größten Vergnügen!«
»Sehr gut. Wenn Ihr das Turnier gewinnt, seid Ihr und Eure Lady frei. Wenn Ihr verliert …« Brisbane stieg die Stufen des Podiums hinauf und wieder hinunter und klopfte mit einem Finger gegen seinen demonstrativ gespitzten Mund. »Ich nehme an, ich könnte Euch gegen ein angemessenes Lösegeld Eurer Familie zurückgeben - aber oh, ich vergaß… sie sind ja alle tot!«
Tabitha wusste, ihre Empörung konnte nur ein Schatten des Hasses sein, den Colin von Ravenshaw empfand.
Brisbane zuckte mit den Schultern, als ob er das, was er zu sagen hatte, abgrundtief bedauerte: »Dann werde ich mich also, wenn Ihr verliert, leider mit Euer beider Köpfe begnügen müssen.«
8
Tabitha wurde schwindelig, als die Menge in blutrünstige Schreie der Begeisterung ausbrach. Im Grunde hätte sie erwartet, dass Colin sie daran erinnern würde: »Habe ich es nicht gesagt?«; doch da ihr die Knie weich wurden, schob er sich schützend hinter sie. Glücklicherweise hatte sie gegessen. Mit hungrigem Magen enthauptet zu werden, wäre sicher doppelt grausam.
Colin schien ebenfalls dieser Ansicht zu sein. »Dann entsprach das Festessen im Kerker sicher Rogers kranker Vorstellung von einem Henkersmahl.«
Entsetzen verdarb Tabithas Erleichterung darüber, endlich von seinem Verdacht befreit zu sein. »Nehmen Sie die Herausforderung nicht an«, flüsterte sie flehend. »Sagen sie ihm, Sie hätten es sich anders überlegt.«
Er bedachte sie mit einem ungläubigen Blick. »Ich soll für alle Zeit die Chance vertun, meine Ehre wiederherzustellen?«, fragte er.
»Würden Sie lieber Ihre Ehre verlieren oder Ihren Kopf?«
Ehe er ihr die Antwort geben konnte, die sie nicht hören wollte, wurde er von einem halben Dutzend Gefolgsleute über den Platz gezerrt. Vielleicht wäre sie ihrer wackeligen Knie wegen einfach umgefallen, wären nicht einige von Brisbanes Damen von der Plattform heruntergeschwärmt gekommen, um sie bei den Armen zu packen und die schmale Treppe hinaufzuzerren. Tabitha setzte sich vehement zur Wehr; aber es war, als kämpfe sie gegen einen fetten Drachen mit zahllosen Gliedern und einem Dutzend wackelnder Köpfe gleichzeitig. Sie musste den Atem anhalten, sonst wäre sie sicherlich erstickt. Nicht einmal mehrere Lagen schweren Parfüms übereinander konnten den säuerlichen Geruch der Körperausdünstungen vertreiben. Kein Wunder, dass Colin der Duft ihres frisch geduschten Leibes aufgefallen war.
Als sie an einem Priester mit einer Tonsur vorbeigeschleppt wurde, der einen
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