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Wilder Als Ein Traum

Titel: Wilder Als Ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Willen zur Rückkehr besaß.
    Aber ihre hektische Fahndung hatte nichts ergeben. Offensichtlich trug Colin die Kette immer bei sich, und sein Körper war der allerletzte Ort, wo sie suchen würde.
    Sie drehte sich auf die Seite und schielte schuldbewusst zu ihm hinüber. Er lag auf dem Rücken und hielt Lucy schützend in seinem linken Arm. Die beiden schienen sowohl vom Heulen des Windes als auch von Tabithas Elend völlig unberührt. Colins Mund war leicht geöffnet, und Tabitha fragte sich, ob er wohl erwachen würde, gäbe sie ihm einen flüchtigen Kuss. Stöhnend wälzte sie sich abermals auf ihrem Bett herum.
    Wie erniedrigend es war, dass sie trotz ihres erstaunlichen Intelligenzquotienten ebenso anfällig für kräftige Muskeln und sanfte Augen war wie jede andere Frau!
    Es musste einfach jugendliche Schwärmerei sein, versicherte sie sich, nichts anderes als die Schwärmerei für Steve Kaufmann in ihrem zehnten Schuljahr. Und am Ende war Gras über ihr wehmütiges Verlangen nach dem jungen Mann gewachsen.
    Wäre sie erst einmal wieder im einundzwanzigsten Jahrhundert, hätte sie jede Menge Zeit, ihre Schwärmerei für Colin zu bewältigen. Genau genommen hätte sie ein ganzes Leben der Erinnerung vor sich: dass sie einmal einen Mann kannte, der seit über siebenhundert Jahren tot war, und im Vergleich zu dem ihr trotzdem jeder andere als ein farbloses Phantom erschiene.
    Tabitha zog sich einen der Pelze über den Kopf, denn lieber ertrug sie die drückene Hitze als weiterhin kuhäugig den schlafenden Colins anzubeten.

    Vielleicht hätte sie sich sogar bereitwillig erstickt, wäre nicht plötzlich durch den Wind ein gespenstischer Klagelaut gedrungen. Tabitha kroch unter dem Pelz hervor, richtete sich kerzengerade auf und lauschte angestrengt.
    Dann hörte sie es noch einmal - unverkennbar das Weinen eines Babys, das der Wind wie das Lamento eines Kobolds zu ihr herübertrug.
    Am liebsten hätte sie sich Colin an die Brust geworfen, doch sie war eine Frau mit Universitätsabschluss und kein zitterndes Burgfäulein in Not! Sie glaubte nicht, dass ein Ritter in schimmernder Rüstung sie vor allem Elend schüzen könnte und glaubte auch nicht wirklich an Geister. Erstens war Colin ein Mann wie jeder andere und zweitens gab es sicher eine normale wissenschaftliche Erklärung für das unheimliche Geräusch.
    Entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, bevor Colin von, wie er sicher annehmen würde, dem Echo des Weinens seiner Schwester aus dem Jenseits wach wurde, glitt sie vor ihrem Lager.
     
    Die Burg ragte wie eine alte, von Geheimnissen und Gefahren überschattete Grabstätte über Tabitha auf.
    Trotzdem tappte sie vorsichtig über die im Hof verstreuten Steine und fluchte bei jedem Schritt darüber, dass sie keine Schuhe trug. Der Wind trieb immer wieder Wolkenfetzen vor den Mond, und Tabitha blickte sehnsüchtig über die Schulter in Richtung des Zeltes, in dem Colin schlief, zurück.
    Doch ein erneuter Schrei lockte sie weiter, bis sie stöhnend vor Anstrengung die schwere Holztür des Turmes mit der Burgkapelle öffnete und über die Schwelle trat.
    Sobald sich der Eingang hinter ihr geschlossen hatte, hörte das Weinen auf. Tabitha wurde starr. Die plötzliche Stille
erschien ihr plötzlich drohender als jeder noch so geisterhafte Schrei.
    »Was habe ich denn wohl erwartet?«, stieß sie zähneklappernd aus. »Dass Colins Schwester in ein weißes Bettlaken gehüllt die Treppe heruntergeschwebt kommt und ›buh‹ ruft, sobald sie mich erblickt?«
    Der Wind machte mit, indem er einen hoch an der Steinwand angebrachten Fensterladen packte und ohrenbetäubend gegen die Mauer krachen ließ. Tabitha fuhr zusammen, doch zumindest fiel durch die schmale Öffnung nun das Mondlicht in den Raum und beleuchtete eine lange Wendeltreppe.
    Sie hob den Kopf und spähte in die Dunkelheit. »Kann sicher kaum schlimmer sein als das Spukhaus in Disney World«, tröstete sie sich flüsternd. »Oder vielleicht doch?«
    Langsam erklomm sie die Treppe, wobei sie versuchte, nicht auf die dunklen Flecken zu achten, die zahllose Stufen verunzierten. Keuchend erreichte sie schließlich den ersten Absatz, legte den Kopf auf die Seite und betete, das Knarzen von Stiefeln in ihrem Rücken wäre die Ausgeburt ihrer, wenn auch für gewöhnlich nicht allzu lebhaften, Fantasie. Das Echo ihres Atems hallte in dem engen Treppenhaus, bis sie beinahe geschworen hätte, dass ein Unsichtbarer, wie, um ihrer wachsenden Panik zu spotten, im

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