Wilder als Hass, süsser als Liebe
einen Ungläubigen anzusehen.«
»Guck, so viel du willst«, erlaubte ROSS milde.
Der schlitzäugige Blick des Usbeken glitt zu ROSS. »Morgen trefft ihr auf die Reiter des Emir. Sie werden Körbe tragen, in denen sind Tücher, um euch die Augen zu verbinden, Ketten, um euch zu fesseln, und Messer, um euch zu zerlegen«, erklärte er mit deutlicher Vorfreude. »Du bist ein Sohn des Todes, Ferengi.«
»Sind nicht alle Söhne der Menschheit auch Söhne des Todes?«
ROSS biß gelassen von seinem Brot ab. Er hatte schon vor längerer Zeit gelernt, daß Frömmelei die beste Verteidigung für solche verbalen Angriffe war, und setzte nun hinzu: »Nur in Gott findet ein Mann ewiges
Leben.«
Der Usbeke funkelte ihn an. »Das Paradies ist nur für die Gläubigen, Ferengi-Schwein. Morgen wirst du in der Hölle zu Abend essen.« Er hob sich auf die Füße und stolzierte davon.
ROSS schluckte den Rest Brot hinunter und fragte herausfordernd in das Schweigen hinein: »Möchte irgend jemand Wetten darauf abschließen, ob dieser unangenehme Zeitgenosse die Wahrheit gesagt hat, oder was wohl sonst morgen geschehen wird?«
Juliet, die sich mehr zu Wort gemeldet hatte, seit Mu-rad wußte, wer sie war, sagte ätzend: »Was sollen wir mit einem Mann wetten, der wahrscheinlich keine Gelegenheit bekommt, seine Schulden zu bezahlen.«
»Britischer Humor ist ziemlich seltsam«, bemerkte Murad und warf ihr einen mißbilligenden Blick zu. »Aber egal, denn dieser Sohn eines Schweines hat gelogen. Woher soll einer wie der die Pläne des Emirs kennen?«
»Ja, wahrscheinlich hat er die Geschichte erfunden, um meine Nachtruhe zu ruinieren. Wie auch immer …« ROSS wischte sich Krümel aus seinem Schoß. »Wenn morgen irgendein Offizier des Emirs mit einem Korb auf die Karawane zukommt, dann will ich, daß ihr drei euch
von mir entfernt. Wenn ich zerlegt werde, brauche ich keine Gesellschaft.«
ROSS warf Murad einen Blick zu. Vor einigen Tagen hatte er den jungen Mann beiseite genommen und ihn überzeugt, daß es eine ehrenvolle Tat wäre, die Frau seines Herrn zu retten und zu beschützen, sollte ihm irgend etwas zustoßen. Murad erinnerte sich jetzt, wie beabsichtigt, an das Gespräch und nickte.
Dann fing ROSS Juliets Blick auf und wiederholte: »Im Zweifelsfalle werdet ihr Abstand halten.«
Noch widerwilliger als Murad nickte sie schließlich auch, dann wandte sie den Blick ab. Zufrieden schenkte ROSS sich Tee nach.
Wenigstens konnte er auf Salehs gesunden Menschenverstand zählen.
Während er an seinem Becher nippte, dachte er darüber nach, wie die Ereignisse im Sandsturm die Beziehung zwischen ihm und Juliet verändert hatten. Wie sie es vorausgesehen hatte, war das Bekenntnis der gegenseitigen Anziehungskraft reinigend gewesen und hatte die Lage verbessert - zumindest in gewisser Weise. ROSS
gab sich keine Mühe mehr, seine Gefühle ganz und gar zu verbergen, und sie konnten entspannter miteinander umgehen.
Doch wie ebenfalls vorhergesehen, war die Situation auch komplizierter geworden, denn das schwelende Verlangen hatte sich gesteigert. Er konnte nicht beurteilen, was dümmer gewesen war: Sie zu küssen oder damit aufzuhören, obwohl sie sich warm und willig gezeigt hatte.
Er hatte ihr eine Lektion verpassen wollen, und statt dessen hatte er sich selbst fast erledigt.
Als er den Tee ausgetrunken hatte, seufzte er und tröstete sich mit dem Gedanken, daß seine Lust auf Julie zumindest etwas Gutes hatte - er wurde hervorragend von dem Gedanken abgelenkt, ob er am nächsten Tag wie ein Opferlamm zerfleischt werden würde.
Obwohl keiner seiner Gefährten dieses mögliche Schicksal auch nur andeutete, war die unterschwellige Spannung doch den Rest des Abends vorhanden. Bisher hatte die Natur den Reisenden schon manche angstvolle Stunde beschert, doch ab morgen würden die Feinde menschlich und weit gefährlicher sein.
Nach einer rastlosen Nacht stand ROSS am nächsten Morgen auf, um die englischen Kleider anzuziehen. Wie er Juliet schon in Serevan erklärt hatte, würde jeder Einfluß, auf den er hoffen konnte, nur aus seinem Status als Landsmann und Verwandter lans entstehen. Und seine Hosen, sein weißes Hemd und sein gutgeschnittener blauer Rock verrieten auf den ersten Blick, daß er Europäer war. Er zog sogar seinen schwarzen englischen Hut auf, den er nur eingepackt hatte, weil er sich unbeschadet zusammenfalten ließ.
Der rattengesichtige Usbeke mußte seine Geschichte in der ganzen Karawane umhergetragen
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