Wilder als Hass, süsser als Liebe
ihn wie ein modriger Wind aus dem Grab. Er konnte lan nicht verdenken, den Tod vorzuziehen. Nur mit Mühe konnte er seine Stimme ruhig halten, als er antwortete: »Ich verspreche es, aber ich glaube nicht, daß es dazu kommt.« Dann war er mit dem Abtrocknen fertig. »Setz dich. Du mußt etwas essen, und diese Schwären brauchen Behandlung.«
lan ließ sich auf den ungepolsterten Diwan fallen. »Ihr habt an alles gedacht.«
»Wenn etwas fehlt, dann liegt es nicht an Vergeßlichkeit.« ROSS
wußte, daß ein Mann, der monatelang auf winzige Rationen beschränkt gewesen war, Fleisch kaum verdauen konnte, und so hatte er gebeten, ein Reisgericht im Haus zu lassen. Er fand an einer Wand zwei Körbe mit Tontöpfen, wovon einer Reis mit Hühnchenfleisch, Gemüse und Jo-gurth enthielt. Es gab auch einen Krug mit Tee, der zum Warmhalten in Stroh eingepackt war. »Sieh zu, daß dir nicht
schlecht wird, aber versuch, ein bißchen davon runterzukriegen.
Du wirst deine Kraft brauchen.«
»Es ist Monate her, daß ich Hunger verspürt habe. Ich glaube, mein Magen hat aus Mangel an Einsatz einfach aufgegeben.«
lan rollte ein bißchen Reis zu einer Kugel, dann schob er ihn in den Mund und spülte mit Tee nach. »Wie, zum Teufel, habt Juliet und du mich gefunden?«
Während lan aß, begann ROSS, Salbe auf die offenen Stelle in der Haut seines Schwagers aufzutragen. Sie sahen häßlich aus, und bei einigen würden Narben bleiben, aber sie saßen nur oberflächlich im Fleisch. Dabei berichtete er so knapp wie möglich, was Juliet die letzten zwölf Jahre getan hatte und ging dann zu der Erklärung über, wie sie beide nach Buchara gekommen waren.
Als er Abdul Samut Khan erwähnte, schnitt lan eine Grimasse.
»Also hast du mit diesem Verräter ebenfalls zu tun gehabt. Er kann ja charmant sein, wenn er will, aber er ist so geldgierig, daß er seine eigene Großmutter für Hundefutter verkaufen würde, wenn der Preis stimmt.«
ROSS blickte auf. »Er hat mir einen Brief gezeigt, in dem du bestätigst, wie sehr er dir geholfen hat.«
»Das war, bevor er verlangte, daß ich ihm ein Dokument schrieb, um vom Botschafter in Teheran zehntausend Dukaten zu fordern«, antwortete lan trocken. »Als ich mich weigerte, denunzierte er mich als Spion. Der Emir war bereits mißtrauisch, und als der Nawab sich gegen mich wandte, war das der letzte Tropfen. Am nächsten Tag wurde ich verhaftet und in den Schwarzen Brunnen gesteckt.«
»Mir wollte er auch Geld abpressen. Ich hatte Glück, daß er zum Krieg abrufen wurde, bevor er mir etwas Ahnliches anhängen konnte. Wir kommen gerade rechtzeitig weg.« ROSS stand auf und begann damit, lan einen ziemlich groben Haarschnitt zu verpassen und seinen Bart zu kürzen, damit
er eher wie ein Mann aus Buchara statt eines verlotterten Eremiten aussah. »Als wir einmal erfahren hatten, daß du eventuell noch im Kerker lebst, konnten wir nicht verschwinden, ohne wenigstens deine Rettung zu versuchen. Aber was meinst du, warum hat der Emir behauptet, er habe dich exekutieren lassen?«
»Weil er glaubte, ich sei es gewesen. Statt dessen wurde Pyotr Andreyovich geköpft.« lan seufzte und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. »Colonel Pyotr Andreyovich Kushut-kin der russischen Armee. Er war einige Monate, bevor ich in Buchara ankam, beim Spionieren erwischt worden.«
»Eine falsche Beschuldigung wie bei dir?«
»Nein, in diesem Fall stimmte es. Er spielte das große Spiel begeistert - er bedauerte nur, daß man ihn ertappt hatte. Pyotr Andreyovich war einige Jahre älter als ich, und er saß schon länger im Kerker. Irgendwann hat er einen schrecklichen Husten bekommen… manchmal konnte er stundenlang nicht aufhören, und es kam Blut.« lan schloß kurz die Augen, und ein Gesichtsmuskel zuckte. »Als sie kamen, um mich zu holen, meinte er, er würde ohnehin sterben, deshalb könnten sie auch ebensogut ihn nehmen.«
»Und niemand hat den Unterschied gemerkt?« fragte ROSS
verdutzt.
lan warf ihm einen sarkastischen Blick zu. »Wir hatten etwa die gleiche Größe und das gleiche Haar, obwohl seines mehr braun als rot war. Aber so dürr und dreckig und haarig wie Affen, wie wir beide waren, hätte es schon jemanden, der uns sehr gut kannte, bedurft, um den Unterschied zu bemerken.« Er schluckte hart. »Er starb also an meiner Stelle. Ich hatte Fieber zu der Zeit, sonst hätte ich mehr protestiert. Allerdings schien es nichts auszumachen, außer daß er aus seinem Elend befreit wurde. Doch nun…«
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