Wilder als Hass, süsser als Liebe
ROSS’ Brust zusammen. Trotz aller Gerüchte und gemunkelten Vermutungen war dies das erste Mal, daß er jemanden traf, der persönlich der Exekution eines Europäers beigewohnt hatte, der lan gewesen sein konnte. Die schwache Hoffnung, die er seit Konstantinopel mit sich getragen hatte, flackerte nur noch schwach und erstarb. Einen Augenblick zog er in Erwägung, den Rat aller zu befolgen und die Reise hier und jetzt zu beenden. Es wäre nicht nur weiser gewesen, sondern hätte ihm auch die qualvollen Wochen in Juliets Nähe erspart.
Doch als sich der Gedanke in seinem Kopf ausgeformt hatte, wurde er sofort durch das lebhafte Abbild von Jean Camerons flehender Miene verfolgt. Bitte, ROSS, ich flehe dich an. Auch jetzt konnte er nicht ganz sicher sagen, was mit lan geschehen war, und Jean würde für immer mit der schwachen, zerstörerischen Hoffnung leben müssen.
Und davon abgesehen mußte ROSS sich mit schmerzvoller Klarheit eingestehen, daß er nicht wirklich vor dem bittersüßen Vergnügen von Juliets Anwesenheit gerettet werden wollte. »Dein Rat ist weise, Abdul Wahab, aber ich kann ohne einen Beweis nicht zurückkehren. Wenn mein Bruder tot ist, dann wird mir der Emir vielleicht erlauben, seine Leiche nach England zurückzubringen.«
Der Anführer sah ihn pessimistisch an, nickte aber. »So soll es sein.«
ROSS wollte nun mehr über den Ferengi wissen. »Der Mann, den man exekutiert hat - wie war sein Zustand?«
»Sehr schlecht. Er bestand aus kaum mehr als Haut und Knochen und hatte überall auf dem Körper schreckliche schwelende Wunden. Er wirkte wie ein alter Mann,
obwohl ich nicht glaube, daß er es war.« Abdul Wahab verzog das Gesicht. »Wußtest du, daß der Emir in seinem Kerker besonderes Ungeziefer hält, nur um die Gefangenen mehr zu quälen? Ich glaube nicht, daß ein Ferengi viel länger dort überlebt hätte. Das Schwert hat ihm zumindest das Leiden verkürzt.«
»Mein Bruder wäre tapfer in den Tod gegangen«, erwiderte ROSS
mit trotzigem Unterton.
»Aye, das ist er. Obwohl er schwach war, stand er aufrecht und schlug das Zeichen des Kreuzes über seiner Brust, wobei er in seiner eigenen Sprache etwas sagte. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich glaube, er hat seine Seele zu dem christlichen Gott befohlen.« Der Kafila-Ba-shi senkte respektvoll den Kopf.
»Für einen Krieger ist es richtiger, im Kampf zu sterben, aber ich kann dir versichern, daß er sich oder seine Familie nicht entwürdigt hat.«
ROSS war kurzfristig überrascht, denn sein Schwager war nie religiös gewesen, und das Zeichen des Kreuzes war unter schottischen Presbyterianern nicht gerade üblich. Doch nachdem er einen Augenblick darüber nachgedacht hatte, begriff er die Geste. Ganz abgesehen davon, daß Monate der Gefangenschaft jeden Glauben verändern konnten, klang das Bekreuzigen ganz nach einem letzten Beweis des Widerstands, eine öffentliche Proklamation seiner Nationalität und seiner Religion. Bis zum Ende blieb er unbeugsam. Vielleicht war das seiner Familie ein kleiner Trost.
»Ich danke dir für die Auskunft, Abdul Wahab.« ROSS hob sich auf die Füße. »Als Ausgleich für den möglichen Ärger, den du durch mich haben könntest, sind mein Diener Jalal und ich gut bewaffnet und werden nicht zögern, die Waffen zur Verteidigung der Karawane einzusetzen.« 9
»So Gott will, wird es nicht nötig sein, aber ich bin froh, es zu wissen.« Zwei andere Männer traten nun in den Verschlag, und der Karawanenführer nickte zum Zeichen, daß sie entlassen waren, um sich dann den beiden Neuankömmlingen zuzuwenden.
Mit Saleh an seiner Seite trat ROSS in den Hof hinaus und dachte, daß bis jetzt alles recht gut verlief. Der Kafüa-Bashi machte den Eindruck eines toleranten und fähigen Mannes, und mit etwas Glück würden sie die Karakum ohne Zwischenfälle durchqueren.
ROSS freute sich darauf, die letzte Etappe seiner Reise in Angriff zu nehmen.
Dummerweise mußte er vorher Juliet berichten, was er über ihren Bruder gehört hatte. Und darauf freute er sich überhaupt nicht.
Kapitel 8
JULIET HOCKTE AN der Außenwand der Karawanserei, hatte die Arme locker gekreuzt auf ihre angezogenen Knie gelegt und beobachtete müßig Murad, der sich um das Feuer kümmerte und das Abendessen zubereitete.
Im Verlauf des Tages hatte es der Perser irgendwann aufgegeben, mit ihr Konversation zu machen, denn sie hatte entweder mit eisigem Schweigen oder aber mit geknurrten Einsilbern auf seine Versuche reagiert.
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