Wilder als Hass, süsser als Liebe
die Situation abwägte. Sie war weder hilflos noch eingeschüchtert, aber sie hätte es lieber vermieden, sich mit einem gefährlichen Unruhestifter zu prügeln, der den Kampf liebte und jeden haßte, der anders war. Dummerweise schien es so, als ließe sich eben das nicht vermeiden.
Provoziert durch ihr Schweigen, knurrte der Kameltreiber: »Was ist los, kleiner Junge, hast du Angst vor mir? Ruf doch deinen Ferengi, damit er dich beschützt.« Er spuckte aus. »Ihr seid nichts als winselnde Hund ohne Mumm, ihr beide.«
Mit einem innerlichen Seufzen ergab sich Juliet dem Unvermeidlichen, denn wenn sie sich nun nicht mit Habib auseinandersetzte, dann würde sie es zweifellos ein andermal tun müssen. Und trotzdem er gut vierzig Pfund schwerer war als sie, war er doch vor allem dumm.
»Die Tuareg sind Krieger«, sagte sie gelassen. »Wir beschmutzen unsere Hände nicht an schwanztragenden Kameltreibern, die nach Dung stinken.«
Ihre Worte waren der Auslöser, den Habib gebraucht hatte. Mit einem wilden Knurren stürzte er sich auf sie. Und als seine Hand durch die Dunkelheit glitt, blitzte die Klinge seines Dolches im Mondlicht auf.
ROSS machte sich bereit, sich in seine Decke einzurollen, obwohl er sich erst dann wirklich niederlegen würde, wenn Juliet vom Brunnen zurückgekehrt war. So unauffällig wie möglich hielt er ein wachsames Augen auf sie, und er hatte den Verdacht, als täte sie dasselbe mit ihm. Es war ziemlich komisch: Sie gingen miteinander um wie zwei jungfräuliche Tanten, die aufeinander aufpaßten.
Er wollte gerade seine Stiefel ausziehen, als er einen Ruf aus der Richtung des Brunnens hörte, »Kilburn! Komm schnell!«
Er erstarrte. War das Juliets Stimme gewesen? Nein, es hörte sich eher nach Murad an. Und doch - warum wußte ROSS selbst nicht -
war er plötzlich absolut sicher, daß Juliet in Gefahr schwebte. Er sprang auf seine Füße und riß einen brennenden Scheit aus dem Feuer, den er als Fackel benutzen wollte.
Saleh hatte auf seiner Decke gedöst, wachte nun aber schlagartig auf, als andere Stimmen ertönten. »Gibt es Ärger, Kilburn?«
»Vielleicht«, sagte ROSS angespannt. »Ich sehe nach.« So schnell wie möglich bewegte sich ROSS über den rissigen Boden auf den Brunnen zu, an dem sich bereits eine stetig anwachsende Menge von Männern sammelte, von denen einige provisorische Fackeln wie die seine trugen. Er konnte noch nicht erkennen, was vor sich ging, aber er machte einwandfrei das häßliche Knirschen von Metall gegen Metall aus. Messer!
Sein Blut wie Eiswasser, schob ROSS die Zuschauer zur Seite, bis er an den von Fackeln erleuchteten Kampfplatz kam.
Windgepeitschte Flammen warfen wilde, zuckende Schatten über die Fläche, auf der sich zwei gebückte Gestalten mit gezückten Dolchen umkreisten. Es war das unheimliche Echo der Szene, die sich früher am Abend mit den Beamten aus Chiwa abgespielt hatte, doch diese hier finsterer, gewalttätiger.
Und ROSS’ schlimmste Befürchtung bewahrheitete sich Nein, nicht die schlimmste, denn Juliet schien unverletzt zu sein.
Doch noch während ROSS hinsah, machte Habib mit seinem langen Messer einen Vorstoß auf Juliets Herz. Mit einer so raschen Bewegung, daß das Auge kaum fol-gen konnte, wehrte Juliet den Angriff mit ihrer Klinge ab, und mit einer schnellen Drehung der Hand ritzte die Spitze das Handgelenk des Kameltreibers.
Einen Augenblick lang war ROSS’ wie paralysiert vor Furcht und Entsetzen, das so tief saß, daß die Sicht in seinen Augenwinkeln verschwamm und alles ausschloß, was nicht Juliet und die Gefahr, in der sie steckte, betraf. Instinktiv bewegte er sich vorwärts, um sich zwischen die beiden Kämpfenden zu werfen. Doch plötzlich packte eine kräftige Hand seinen Unterarm und hielt ihn fest. Wie in Trance drehte er sich um und fand Saleh vor.
»Nein, Kilburn. Wenn du dich einmischst, machst du es nur schlimmer«, sagte der alte Mann sanft.
ROSS hätte sich fast aus dem Griff gewunden, doch er konnte gerade noch klar genug denken, um zu erkennen, daß Saleh recht hatte: Wenn er Juliets Konzentration störte, unterschrieb er vielleicht ihr Todesurteil. Aber hilflos danebenzustehen, war die schlimmste Folter, die er jemals in seinem Leben erfahren hatte.
Juliet war viel schneller als Habib, und sie wehrte geschickt jeden Vorstoß des Kameltreibers ab, während sie auf eine günstige Gelegenheit ihrerseits wartete. Sie hatte ihren Mantel abgeworfen, und in ihrem dunklen Gewand und dem Tagelmoust
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