Wilder Oleander
war der dreiunddreißigjährige Stephen alles andere als ein As. Er hatte den Jungen wegen seines familiären Hintergrundes für seine Tochter auserkoren und weil es so aussah, als ließe er sich herumkommandieren. Michael Fallon hatte durchaus vor, in Francescas Eheleben ein Wörtchen mitzureden, ob das nun den Vandenbergs passte oder nicht. Und er wollte dafür sorgen, dass die Hochzeit über die Bühne ging, ungeachtet Mrs.Vandenbergs heimlichen Bemühungen, diesen Plan zu sabotieren.
Michael Fallon hatte einen Trumpf in der Hand. Er war hinter das hässliche kleine und streng gehütete Geheimnis um ihr einziges Kind gekommen.
Die Limousine hielt an der Straßenecke. Fallon war auf dem Weg zur Beichte, musste aber vorher noch rasch eine Verabredung wahrnehmen.
Dr.Rachel Friedmans Praxis befand sich im dritten Stock. Eine Empfangsdame gab es nicht, die Therapeutin öffnete selbst.
»Mr.Fallon.« Sie reichte ihm die Hand.
»Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen, Doktor. Ich weiß doch, wie beschäftigt Sie sind.« Er ergriff ihre Hand und sah ihr in die Augen. Hübsche Frau, besaß Klasse, Format.
Beim Händeschütteln spürte er den kurzen, reflexartigen Druck ihrer Finger, wie immer, wenn eine Frau auf ihn ansprang, und als er an ihrer Kehle das Pochen ihres Pulses bemerkte, überkam ihn der Wunsch, mit dieser Lady ins Bett zu steigen.
»Nehmen Sie doch Platz. Was kann ich für Sie tun?« Dr.Friedman hatte das Gefühl, diesen Mann bereits gut zu kennen. Ihre Patientin Francesca sprach ja während ihrer Sitzungen meist über ihren Vater. Außerdem kam einem in der Stadt so manches über ihn zu Ohren. Michael Fallon sah in Wirklichkeit ebenso gut aus wie auf den Konterfeis in der Zeitung, und sein Charme wurde dem, was man sich darüber erzählte, voll und ganz gerecht. Aber nicht nur das – allein schon wie er ihr da gegenübersaß, ging eine Macht von ihm aus, sickerte ihm aus den Poren wie anderen Schweiß. Wie er wohl im Bett war?
»Ehrlich gesagt«, lachte er nervös und zupfte an seinen Manschetten, »habe ich nicht an eine schöne Frau gedacht, als ich herausfand, dass mein kleines Mädchen zu einem Seelenklempner geht. Eher an etwas Älteres, nun ja, Gesetzteres. Nehmen Sie’s mir nicht übel, wenn ich sage, dass Sie eine regelrechte Augenweide sind, Doc.«
Rachel fragte sich, ob er damit seine Befangenheit überspielen wollte, fühlte sich aber gleichermaßen geschmeichelt.
»Und außerdem klug.« Angesichts der Diplome an der Wand pfiff er anerkennend durch die Zähne. »Ich dagegen habe
nicht mal die High School fertig gemacht.« Er errötete. »Es geht um meine Tochter, Doc. Sie bereitet mir Sorgen.«
Dr.Friedman sagte nichts.
»Ich weiß, sie kommt regelmäßig her … «
»Hat sie Ihnen das erzählt?«
Er lachte verlegen. »Ich hab sie beobachten lassen. Als Vater muss ich schließlich auf sie aufpassen. Sie ging einmal die Woche irgendwohin, regelmäßig wie ein Uhrwerk, und da wurde ich skeptisch. Als ich erfuhr, dass sie einen Seelenklempner … Verzeihung, eine Therapeutin … aufsucht, bekam ich einen Schreck. Fehlt ihr denn was?«
»Tut mir Leid, Mr.Fallon, aber das fällt unter die Schweigepflicht. Die Gespräche zwischen meinen Patienten und mir sind vertraulich.«
»Wirklich? Ich bin doch ihr Vater. Und ich mache mir Sorgen. Sie brauchen mir ja keine Einzelheiten zu erzählen, es genügt, wenn Sie mir verraten, was sie generell belastet.«
Sie lächelte begütigend. »Sprechen Sie doch mal selbst mit Francesca. Ich habe das Gefühl, sie würde es begrüßen.«
Er sah sich in der Praxis um, trommelte mit den Fingern auf die Armlehne. »Ich weiß nicht so recht. Ich hab den Verdacht, sie verschweigt mir etwas. Übrigens heiratet sie morgen.«
»Das steht in allen Zeitungen.«
»Eine große Hochzeit«, grinste er. »Zu Ehren meines kleinen Mädchens. Wie wär’s, wenn Sie mich kurz ihre Akte einsehen ließen? Das hieße doch nicht, dass Sie mir etwas
erzählen
würden, hm?« Er zwinkerte. »Natürlich bliebe das unter uns.«
»Meine Unterlagen sind ebenfalls vertraulich, Mr.Fallon.«
Er nickte. »Verstehe. Als Vater versucht man eben, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.« Er schwieg, trommelte wieder auf die Armlehne. Die Deckenbeleuchtung ließ den Smaragdring an seinem kleinen Finger funkeln. Fallons graue Augen wurden dunkler, unergründlicher, und Rachel spürte, wie es in ihr
zu prickeln begann. Sie war darauf geeicht, unempfänglich für manipulatorische
Weitere Kostenlose Bücher