Wilder Oleander
worden waren, hatten sie nicht geahnt.
Der Begriff »verkauft« verfolgte Abby jahrelang. Verkauft für wie viel? Als ob ihr Kind ein Möbelstück wäre. Oder ein Hund. Albträume plagten sie. Und Schuldgefühle. Sie hätte wissen sollen, dass ihr Baby lebend zur Welt gekommen war. Sie hätte dafür kämpfen müssen, es zu behalten. Sie hätte auf anwaltlicher Beratung bestehen, sich über ihre Rechte informieren sollen. Weil sie unerfahren und naiv gewesen war, musste ihr Kind möglicherweise ein erbärmliches Leben führen. Immerhin war sie jetzt, da sie einiges über das Leben und die Familien in Erfahrung gebracht hatte, ein wenig erleichtert darüber, dass ihre schlimmsten Befürchtungen sich nicht bewahrheitet hatten.
Dafür quälte sie weiterhin der Gedanke, dass man ihrer Tochter, wenn sie denn um ihre Adoption wusste, erzählt hatte, ihre Mutter sei eine Mörderin. Diese Lüge wollte Abby ausmerzen.
Vanessa ahnte, was in Abby vorging. Sie wusste um deren lähmende Verunsicherung und war zu dem Schluss gekommen, dass die Freundin zwar diese Oase der Heilung geschaffen hatte, selbst aber nicht geheilt werden konnte.
»Übrigens«, meinte sie jetzt, »habe ich mich beim Los Angeles Police Department erkundigt, ob es dort wirklich einen Detective namens Jack Burns gibt.«
Abby fuhr hoch. »Und?«
»Das trifft schon zu.«
»Und er untersucht den Mord an seiner Schwester?«
»Das wollte man mir nicht sagen. Glaubst du ihm, Abby? Was ist, wenn das nur ein Vorwand ist, um den wirklichen Grund seiner Nachforschungen zu verschleiern?«
Abby überlief eine Vorahnung kommenden Unheils. War es jetzt so weit? Würde es zu dem Showdown kommen, vor dem sie schon so lange Angst hatte?
Nicht jetzt!, wollte sie rufen. Noch nicht. Lasst mir noch ein bisschen Zeit. Ich möchte als freier Mensch meine Tochter in die Arme schließen.
Kapitel 14
Uri Edelstein blieb unsichtbar.
Der Oberbuchhalter und beste Freund von Michael Fallon verfolgte vom kugelsicher abgeschirmten Büro seines Bosses im ersten Stock des Las Vegas Atlantis Casino-Hotels aus über eine interne Fernseh-Überwachungsanlage das Geschehen unten im Saal.
Er erblickte Michael, der, das dunkle Haar nach hinten gegelt, in einem maßgeschneiderten Anzug, grauen Hemd und perlweißen Schlips und den Tausend-Dollar-Schuhen aus Eidechsenleder charmant und so, als wären sie gute alte Freunde, Hotelgäste und Casinobesucher begrüßte, ihnen die Hände mit den beiden rötlich schimmernden, diamantenbesetzten Goldringen entgegenstreckte und sie überschwänglich im Atlantis willkommen hieß.
Jeder mochte Fallon. Als er 1976 , nach dem Tod von Gregory Simonian, der das erste Casino am Strip errichtet hatte, das Wagon Wheel übernahm, hatte er mit seinen Angestellten rückhaltlose Offenheit vereinbart, was auch einschloss, dass wer immer etwas auf dem Herzen hatte, in sein Büro kommen und seine Beschwerde ihm persönlich vortragen konnte. Hin und wieder zog Michael durch die Casinos und steckte Spielern, die abgebrannt waren, ein paar Scheine zu. Wenn ein Polizist in Vegas und Umgebung bei einem Einsatz ums Leben kam, konnte man damit rechnen, dass Fallon den Hinterbliebenen einen großzügigen Scheck zukommen ließ. Er
spendete Millionen an Wohltätigkeitsverbände und wurde jeden Sonntag in der Kirche gesehen. Er verkehrte mit der Crème der Gesellschaft von Vegas, hochkarätigen Politikern, großen Mackern und Machern. Man klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Was können wir für dich tun, Michael?«
Es war ein anderes Las Vegas als das, in dem Uri und Michael aufgewachsen waren. Als in den sechziger Jahren in Vegas die Welle der Gewalt ihren Höhepunkt erreichte und Robert Kennedy sich an die Spitze des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen stellte, war die alte Garde abgetaucht. Kein noch so intensives Ermitteln der Bundesbehörden konnte Michael Fallon mit dem Syndikat in Verbindung bringen, für das er einst tätig gewesen war. In der Nacht, in der Francesca das Licht der Welt erblickt hatte, war er zum ehrsamen Bürger geworden. Ihr zuliebe. Auch die Hochzeit am kommenden Samstag, die Hunderttausende von Dollar verschlang, richtete er nur ihr zuliebe aus.
Jetzt aber war das Fest bedroht.
Uri sah es nicht unbedingt als die feine Art an, wenn Gangster sich gegenseitig umbrachten, weshalb er lieber wegschaute. Der illegale Handel mit Babys und dass Mike da mitgemischt hatte, war allerdings ein Schock gewesen. Er hatte davon erfahren, als
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