Wilder Oleander
anvertrauen können.
Sie betrat ihren Patio, den die Wüstensonne golden verklärte. Von der anderen Seite der Mauer drang Stöhnen und Kichern an ihr Ohr.
Sissy war neidisch.
Merkwürdig. Neid war ihr eigentlich völlig fremd. In der Highschool war Ed Kapitän der Fußballmannschaft gewesen, ein vielversprechender junger Mann. Die Mädchen hatten ihm nachgestellt – und er hatte sich für Sissy entschieden. Keinen Geburts- oder Hochzeitstag vergaß er, und regelmäßig wie ein Uhrwerk schlief er samstagabends mit ihr (auch wenn dazu das Licht aus sein musste und der Ablauf mehr oder weniger der gleiche war). Sissy hatte sich immer für die glücklichste Frau gehalten, mit einem schönen Zuhause und wunderbaren Kindern, und Ed erfüllte ihr jeden Wunsch. Nur dass sich in letzter Zeit dieses eigenartig nagende Gefühl in ihr breitgemacht hatte … dass etwas fehlte.
Und jetzt war sie urplötzlich neidisch.
»Wo hast du einen so dicken Vibrator aufgetrieben?«, quiekte die Frau im Garten nebenan, und Sissy verzog sich schleunigst wieder in ihr Wohnzimmer. Wie schamlos, wie unersättlich, wie vulgär!
Sie sind in ihrem Garten, schalt sie sich. Es ist ja nicht so, dass sie es mitten im Supermarkt treiben.
Aber ihre Neugier war geweckt. Linda hatte ihr mal den Vibrator
gezeigt, ohne den sie nicht auf Reisen ging. Sissy war geschockt gewesen. Wieso brauchte eine sexuell aktive Frau noch eigens einen Vibrator? Linda hatte ihr vorgeschlagen, sich einen zuzulegen und ihn auszuprobieren, aber eingedenk ihrer regelmäßigen Vereinigung mit Ed am Samstagabend hatte Sissy derlei doch gar nicht nötig!
Sie blinzelte durch die Schiebetür auf den goldenen Patio. Wie es wohl war, es am helllichten Tag draußen zu treiben?
Wo hielt sich Alistair gerade auf?
Ihre Gedanken schockierten sie, erschreckten sie – würde sie sich trauen, ihn zu suchen? Kurz entschlossen kehrte sie dem verlockenden Sonnenschein den Rücken und breitete alles für ihr Album auf dem großen Tisch aus. Ihr Blick fiel auf etwas aus der braunen Dokumentenmappe: einen Abholschein, ausgestellt von einem Juweliergeschäft, und zwar vor einer Woche. Gegenstand war eine teure Damenarmbanduhr.
Sissy hatte demnächst Geburtstag, und wie es aussah, wollte Ed sie mit etwas Besonderem überraschen. Oder aber er
hatte
sich in einem Anflug von Torschlusspanik einen Seitensprung geleistet und wollte das jetzt wieder gutmachen. Eine Brillantarmbanduhr war mit Sicherheit ein hübscher Auftakt für eine Entschuldigung. Das Beste war wohl, den Abholschein wieder in die Dokumentenmappe zu versenken und so zu tun, als hätte sie weder ihn noch all das andere Zeug je zu Gesicht bekommen. Aber ihre Hände wollten ihr nicht gehorchen.
Mit dem Abholschein in der Hand ging sie auf dem langflorigen königsblauen Teppich auf und ab, trat dann an das mit scharlachroten und goldfarbenen Vorhängen umrahmte Fenster und schaute in den zu ihrem Häuschen gehörenden Garten. Selbst bei geschlossener Schiebetür konnte sie das Kichern hören und das Quieken der Frau: »Geh mir bloß weg mit dem Ding! Willst du mich umbringen?«
Sissy wandte sich ab und starrte das Telefon an wie ein Tier, das aus der Wüste hereingekrochen war. Wäre ein Anruf bei dem Juwelier nicht ein Eingeständnis, dass sie ihrem Mann misstraute?
Es klopfte an der Tür. Sissy fuhr zusammen. Die Nachbarn luden sie zu einem Dreier ein!
Aber es war Vanessa Nichols, die freundlich lächelnd um Entschuldigung für die Störung bat. »Ich wollte Ihnen nur die Einladung überbringen, Mrs.Whitboro, mit Mrs.Tyler morgen zu Abend zu essen.«
»Danke, das freut mich. Ich werde es mir gleich aufschreiben.« Sissy fielen ihre Nachbarn ein und ein schockierender Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Schade, dass sie sie nicht zum Mitmachen aufgefordert hatten! »Danke«, sagte sie noch einmal. »Wie nett, dass Sie persönlich bei mir vorbeigekommen sind.«
Aber kaum hatte sie die Tür wieder geschlossen, drehten sich ihre Gedanken nur noch um eines. Sie griff zum Hörer und wählte die auf dem Abholschein vermerkte Telefonnummer. »Ja doch, Madam«, kam es näselnd durch die Leitung. »Die Uhr ist fertig. Graviert wie erbeten.«
Graviert! »Würden Sie mir bitte die Gravur vorlesen?«
»Gerne«, erwiderte die näselnde Stimme. »Sie lautet: ›Für Linda. Du hast einen neuen Menschen aus mir gemacht. Ed.‹«
Kapitel 16
Ophelia hatte nicht vorgehabt, sich zu verlieben.
Sie hatte unter Schlafstörungen gelitten,
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