Wilder Oleander
Erinnerungen zu entfliehen.
Voller Optimismus machte sie sich zurecht, fuhr sich mit ihren langen roten Fingernägeln durch das Haar (die Locken und das Burgunderrot waren eine Kreation ihres Friseurs). Jetzt
noch etwas Rouge, die Augenbrauen nachziehen, vier Schichten Lippenstift, um zum Küssen zu animieren. Sandalen, weiter schwingender Rock, schulterfreie Bluse und dann los.
Sowohl auf den Dschungelpfaden wie auch auf den gepflasterten Wegen von The Grove begegneten ihr Männer: ausgeruhte und müde, eitle und zurückhaltende, geschmackvoll oder nichtssagend gekleidete, manche aufgedresst oder als ob sie im Dunkeln wahllos nach einem Kleidungsstück gegriffen hätten. Sie lächelten sie an, nickten, warfen ihr vielsagende Blicke zu. Aber kein Funke sprang über. Diese Kerle waren auf Sex aus, und darum ging es Coco nicht. Sex zu haben war kein Problem. Man hielt sich einfach dort auf, wo sich männliche Männer herumtrieben – Polizisten, Feuerwehrmänner, Sanitäter –, und wählte sich einen fürs Bett aus.
Der mit Steinen gesäumte Pfad führte durch einen Hain dicker Bananenpalmen. An dessen anderer Seite, auf einer graugrünen Bank aus Schmiedeeisen, entdeckte sie einen Mann, der eine Zeitung las. Weitere Zeitungen stapelten sich neben ihm:
Wall Street Journal, New York Times
und der
International Herald.
Coco schloss sofort daraus, dass dieser Mann erfahren war, gebildet, intellektuell. Sich in den Belangen der Welt auskannte.
Weltoffen
war.
Sie taxierte ihn auf um die vierzig. Er hatte leicht schütteres Haar, aber ein markantes Profil. Lebhafte Augen blitzten durch seine metallgerahmte Brille. Hellbraune Chinos und ein Madras-Hemd mit Button-down-Kragen. Ein College-Campus-Mann. Wenn es kühl war, würde er ein Tweedjackett mit Lederbesatz am Ellbogen tragen.
Er sah hoch. Nettes Lächeln.
»Hallo«, sagte Coco.
Er stellte sich als Dr.Charles Barnhart vor – »Aber alle nennen mich Charlie« – und sagte, er sei Geologe am Caltech, Leiter der Abteilung Erdbeben.
Cocos Radar schlug an. Abgesehen davon, dass er sich über das auf dem Laufenden hielt, was in der Welt passierte, war er obendrein noch klug.
Er forderte sie auf, sich zu ihm zu setzen. Sie plauderten angeregt. Von seinen Augen und seiner Stimme gefesselt, fragte sich Coco bereits, ob dieser gescheite weltoffene Seismologe aus Caltech eine Verabredung zum Mittagessen hatte, als er sagte: »Soll ich Ihnen mal etwas Interessantes zeigen?«
Er führte sie um die kleine Lichtung, durch dicht an dicht stehende Bäume und vorbei an einer kunstvoll gestalteten Grünanlage mit blühenden Oleander- und Jasminsträuchen. Von dort aus ging es so lange über einsame Pfade, dass Coco schon meinte, wieder in Palm Springs zu landen, als er urplötzlich stehen blieb. »Da!«
Coco blinzelte. Jenseits des Grüngürtels, dort, wo sich die lohfarbene Wüste bis zum Horizont dehnte, sah sie einen golden schimmernden See.
»Wie schön«, sagte sie.
»Wenn Sie glauben, das sei ein See, dann haben Sie sich getäuscht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es ist eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana. Ich war gestern dort, aber da ist nichts als Sand. Wissen Sie, wie es zu einer solchen Luftspiegelung kommt? Sie ergibt sich aus der Lichtbrechung durch Luftschichten unterschiedlicher Dichte.«
Kluge Männer zogen sie seit jeher magisch an, sodass sie, als er sie unversehens küsste, seinen Kuss spontan erwiderte. Seine Hände wussten genau, wo sie hin wollten und was sie tun sollten. Sie fand ihn um die Taille herum ein wenig schwammig, aber das konnte durchaus sexy sein. Während er ihr die Bluse aufknöpfte und seine Lippen eine feuchte Spur zu ihrem Nippel markierten, blickte sie mit halb geschlossenen
Augen über die Wüste. Die Fata Morgana funkelte und flimmerte derart, dass man die heiße Luft dort förmlich spüren konnte. Auch Dr.Barnharts erigiertes Glied spürte Coco und zitterte vor Erregung. Bereitwillig ließ sie sich von ihm nehmen, was zu ihrem Bedauern nicht so lange dauerte wie erhofft, sich aber trotzdem gut anfühlte. Es gelang ihr sogar noch, ihre Hand in Stellung zu bringen und sich selbst zu befriedigen. Charlie musste noch ein bisschen was dazulernen. Sie brachten ihre Kleidung wieder in Ordnung, fuhren sich durch die Haare und hielten, wenngleich verspätet, nach möglichen Augenzeugen Ausschau. Aber noch immer war weit und breit niemand zu sehen und noch immer lockte in der Ferne diese übernatürlich schimmernde Luftspiegelung.
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