Wilder Oleander
»Ich möchte mehr von dir wissen, Charlie«, sagte Coco und hängte sich bei ihm ein. »Zum Beispiel: was sind deine Hobbys?«
»Ich sammle antikes wissenschaftliches Gerät. Ich besitze sogar eine der original Richter-Skalen. Ein sehr frühes Modell. In ausgezeichnetem Zustand. Ist eine Menge wert.«
Coco starrte ihn an, zwinkerte, war enttäuscht. Sie zog ihren Arm zurück. »Nimm’s mir nicht übel, aber eigentlich bin ich nicht mehr auf ein gemeinsames Mittagessen erpicht.«
»Was hast du denn?«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Bist du wirklich Wissenschaftler, Charlie?«
Das Blut schoss ihm in die Wangen. »Warum fragst du?«
»Weil du an deiner Nummer noch arbeiten musst. Charlie, die Richterskala ist kein Gerät, sondern ein
Maßstab
!«
Kapitel 18
Sie sah ihn näher kommen. Von Zeb wusste sie, dass sich Jack Burns zu Schießübungen mit Pfeil und Bogen in die Wüste hatte bringen lassen. Erstaunlich. Und jetzt, da sie ihn auf sich zustapfen sah – einen gewaltigen Bogen über der Schulter, ein Köcher mit Pfeilen am Gürtel, das enge T-Shirt Muskelpakete umspannend –, empfand sie ihn als urwüchsig, stark. Und ungemein anziehend.
Abby stellte Jack den Mann neben ihr vor. »Das ist Elias Salazar, der Sicherheitschef hier in The Grove. Ich habe ihm gesagt, weshalb Sie hier sind; er wird Ihnen gern behilflich sein, sollte dies nötig werden.«
»Vielen Dank.« Jack hätte am liebsten auf der Stelle die Akte seiner Schwester verlangt und Abby gefragt, was sie über Nina wusste und warum sie abgestritten hatte, sie zu kennen. Aber er wollte sich nicht verraten.
Er verabschiedete sich von den beiden und steuerte gedankenverloren auf seine Unterkunft zu. Wieso, überlegte er, zeigte sich Abby Tyler einerseits kooperativ und andererseits derart zugeknöpft? Dass sie eine attraktive Frau war, machte es ihm noch schwerer, sie zu verdächtigen.
Er begab sich sofort in sein Bad, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu erfrischen. Das Bild vom Tatort, die Entdeckung von Ninas Leiche hatte ihn von Indian Rocks aus, wo ihm diese Szene noch einmal deutlich geworden war, verfolgt.
Wer immer seine Schwester umgebracht hatte, hatte sie erst vergewaltigt und dann alles so aussehen lassen, als sei sie an einer Überdosis Rauschgift gestorben. Ausgerechnet Nina! Nicht mal ein Aspirin hätte sie geschluckt! Jacks Magen krampfte sich zusammen, wenn er sich vorstellte, wie ihre letzten Minuten auf Erden verlaufen sein mussten. Der Gedanke daran quälte ihn wie ein böser schwarzer Vogel, der ihn unter seinen ausgebreiteten Schwingen zu ersticken suchte.
Bei ihrem Begräbnis hatte er keine Träne vergossen, sondern sich Nina zuliebe zusammengerissen. Er wollte einen klaren Kopf behalten und ihren Mörder dingfest machen. Des weiteren hatte er es sich vorgenommen, das Ziel, das sie sich gesetzt hatte, weiter zu verfolgen: ihre leibliche Mutter ausfindig zu machen. Selbst wenn es ihn sein ihm noch verbleibendes Leben kosten würde, so sein Entschluss, würde er die Frau aufspüren, die Nina das Leben geschenkt hatte.
Bevor er sein Zimmer verließ, überflog er nochmals die Unterlagen, die Nina zusammengetragen und die er gestern Abend durchgearbeitet hatte. Wie er am großen Swimmingpool, an dem er vorbeigeschlendert war, aufgeschnappt hatte, war Ophelia Kaplan, die sich mit ihrem Buch über richtige Ernährung einen Namen gemacht hatte, mittlerweile im Resort gelandet. Jack wollte Kontakt mit ihr aufnehmen und ein wenig mit ihr plaudern, wie er das auch schon mit Coco McCarthy getan hatte. Während sein Kollege und die anderen Kripobeamten in der Dienststelle größtmögliche Anstrengungen unternahmen, um den Mord an Nina aufzuklären – »Keine Sorge, Jack, wir drehen jeden Stein um.« –, Zeugenaussagen zu Protokoll nahmen, Beweisstücke vom Tatort analysierten und Ninas Unternehmungen in ihren letzten Lebenstagen zurückverfolgten, war Jack nach The Grove gekommen, um
einer anderen Spur nachzujagen: der nämlich, der Nina selbst nachgegangen war.
Die Antwort war hier in The Grove zu finden. Dessen war er sich sicher. Als er sich in der Absicht, irgendwie mit Sissy Whitboro und Ophelia Kaplan ins Gespräch zu kommen, seine Jacke überzog und nach seiner Brille griff, fiel ihm erneut die Akte ein, die er auf Abby Tylers Schreibtisch hatte liegen sehen. Wieso interessierte sich diese Frau für seine Schwester? Wäre vielleicht nicht schlecht, mal einen Blick in diese Akte zu werfen, ohne dass Abby Tyler dies
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