Wildes Blut
die Ängste und Peinlichkeiten ihrer Mädchenzeit hinter ihr. Trotz der Härten, die sie erlitten hatte, führte sie ein reiches und befriedigendes Leben. Jetzt war er zurückgekehrt, um alles zu zerstören. Wenn er nur akzeptieren würde, was sie ihm zu erklären versucht hatte, und erkannte, dass sie jetzt ein anderer Mensch war.
Und dann? Sollte er sie hofieren wie ein jugendlicher Liebhaber? Das war absurd. Er würde niemals verstehen, wer sie war und was sie fühlte. Warum sollte sie das von ihm erwarten?
Er begehrt dich jetzt. Ja, das sah sie in seinen Augen. Sie hatte in den vergangenen Jahren gelernt, männliches Verlangen zu erkennen, sie hatte sogar gelernt, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sie musste es tun oder Gran Sangre den Soldaten und Händlern überlassen - oder wer sonst damit drohte, es zu zerstören. Der Hunger in seinen Augen hat nur meinem verletzten Stolz geschmeichelt, nichts sonst, sagte sie sich.
Gewiß nichts sonst, denn er war ein rücksichtsloser, vom Krieg geprägter Soldat. Er war die personifizierte Bedrohung. Und er begehrte sie. Begehrte auch sie ihn?
Zitternd schloß sie die Tür zu ihrem Zimmer und lehnte sich in der Dunkelheit dagegen. Als sie wieder ruhiger geworden war, ging sie zu ihrem Frisiertisch, auf dem eine Talgkerze stand. Sie nahm ein Streichholz und entzündete sie, dann ließ sie sich auf den samtbezogenen Stuhl vor dem Spiegel sinken und starrte in die gehetzten goldbraunen Augen einer Fremden.
Nebenan im Herrschaftsschlafzimmer entließ der Patron von Gran Sangre Baltazar für die Nacht, nachdem der Diener einen braunen Brokathausmantel herausgelegt hatte. Rasch zog Lucero seine formelle Kleidung aus und schlüpfte hinein, dann rollte er eine Zigarette und entzündete sie. Der starke, süßliche Tabak kratzte in seinen Lungen wie die Nägel einer Geliebten, ein vertrauter und beruhigender Geruch inmitten all dessen, was sich verändert hatte.
Mercedes hatte in der Tat eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Noch immer sah er sie vor sich, wie sie in dem großen Speisesaal stand, so klein und zart mit den süßen Rundungen, und ihm erklärte, dass sie eine andere Frau geworden war. Er nahm noch einen Zug und lachte laut über die Ironie der ganzen Situation. Er ließ den Blick von der sternenklaren Nacht draußen vor seinem Schlafzimmerfenster zu der Tür gleiten, die sie von ihm trennte.
"Ja, du bist nicht die Frau, die Lucero Alvarado geheiratet hat, schöne Mercedes, aber das ist nur gerecht, denn ich bin nicht Lucero Alvarado."
Er schnippte die Zigarette hinaus in die Dunkelheit des Innenhofes, warf seinen Mantel auf den Boden und ließ sich nackt auf die weiche Federmatratze sinken. Dort lag er und starrte an die Decke, während seine Gedanken in der Zeit zurückwanderten.
3. KAPITEL
Welch seltsame Wendung des Schicksals hatte ihn zu dieser Festung in Sonora geführt. Er lächelte in der Dunkelheit.
Er war Lottie Fortunes Sohn, Nicholas, das uneheliche Kind einer Hure aus New Orleans. Zum Teufel, Fortune war nur der Künstlername, den die Möchtegernschauspielerin angenommen hatte, aber Nicholas zog es vor, diesen zu führen anstelle des echten. Als er sieben Jahre alt war, hatte seine Mutter ihn zu ihrem Vater geschickt, Hezekiah Benson. Der brutale Mann schwor auf die Bibel und sprach von Feuer und Schwefel, während er sein elendes Leben auf einer Farm im Westen von Texas vergeudete. Da zog er in den Krieg, in der Hoffnung auf ein Leben in Glanz und Ruhm.
Ruhm! Luceros Gesicht verfinsterte sich, als er an all die üblen Gegenden dachte, in denen er gekämpft hatte, seit er mit fünfzehn Jahren Söldner geworden war. Es waren so viele gewesen, dass er aufgehört hatte zu zählen: Die Krim, die österreichisch- italienische Grenze, Nordafrika - aber nichts davon konnte mit Mexico konkurrieren. Er war im Januar 1862
nach Vera Cruz gesegelt, zusammen mit den französischen Invasoren, erfüllt von der sonderbaren Vorstellung, reich zu werden durch habsburgisches Gold und sich dann in ein tropisches Paradies zurückzuziehen. Ein Blick auf den kahlen, verpesteten Hafen mit Stranden, die schwarz waren von aasfressenden Geiern, genügte, um ihn von diesem Traum zu kurieren. Aber dann waren die französischen Truppen weiter ins Landesinnere gezogen. Im fruchtbaren Hochland wuchsen Orangen, Zitronen und Feigenbäume, erhoben sich Pappeln über glitzernde Ströme, sangen leuchtendbunte Vögel.
Die reichen hacendados hießen ihre kaiserlichen Retter
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