Wildes Blut
um sich zu beruhigen. Sie wusste, sie musste jetzt sprechen, sonst würde es zu spät sein. "Ich war in deiner Abwesenheit eine ausgezeichnete Verwalterin, Lucero. Schon bevor dein Vater erkrankte, blieb es mir überlassen, Gran Sangre zu leiten, mich darum zu kümmern, dass die Rechnungen bezahlt wurden, uns vor der Armee zu schützen, zu säen und für das Vieh zu sorgen.
Ich war nicht nur für den Haushalt zuständig, sondern für die ganze Hazienda."
"Eine beachtliche Aufgabe für eine einzelne Frau, sogar für eine mit deiner ganz erstaunlichen Kühnheit." Er ließ die schimmernde Locke los, die sanft auf ihre nackte Schulter fiel.
Das Verlangen in seinem Körper wuchs.
Auch sie erhob sich und ging zur Anrichte hinüber, wo ein Kristallkrug mit aguardiente stand. Sie schenkte zwei kleine Gläser mit dem Weinbrand voll, dann reichte sie ihm eines. Sie zwang sich, die Hände ruhig zu halten, obwohl sie innerlich bebte. "Ich fürchte, meine Kühnheit wird dich gleich noch mehr erstaunen." Sie hob das Glas, um ihm zuzuprosten. Dann wartete sie ab, bis er es ihr gleichtat, und trank einen Schluck. "Unsere Heirat war ein Fehler, aber es bleibt eine vor Gott geschlossene Ehe, die nicht aufgelöst werden kann, wie sehr wir es uns auch wünschen mögen."
"Aber ich wünsche es ja gar nicht, Mercedes." Er sprach ihren Namen in sanftem Flüsterton.
"Dann hast du dich wirklich und wahrhaftig verändert. Ehe du fortgingst, wolltest du nichts auf der Welt mehr, als deine
‚bleiche, dürre kleine Jungfrau’ loszuwerden - ich glaube, das waren die Worte, mit denen du mich Don Anselmo nach dem Verlobungsessen beschrieben hast."
Er zuckte zusammen. "Es tut mir leid, dass du dieses Gespräch mitangehört hast. Das wusste ich nicht, und es ist jetzt auch vorbei. Du bist jetzt nicht mehr bleich und dürr, und ganz gewiss bist du auch keine Jungfrau mehr!'
"Aber ich bin eine Fremde für dich, genau wie du für mich ein Fremder bist", gab sie zurück. "Du kannst dich mir aufzwingen, dein gesetzliches Recht einfordern, so wie du es in der Hochzeitsnacht tatest, aber du wirst feststellen, dass ich nicht mehr so fügsam bin wie damals. Ich warne dich."
"Was wirst du tun, nachdem ich meine Rechte eingefordert habe, Mercedes? Mir die Kehle durchschneiden, während ich schlafe - mir den Schädel einschlagen mit einer von Angelinas eisernen Pfannen? Oder vielleicht wirst du mir etwas in den Wein schütten, um mich in den Wahnsinn zu treiben?" Er hielt ihr das Weinbrandglas zum Nachfüllen hin, und in seinen Augen lag ein herausfordernder Glanz.
"Ich würde an dein Gewissen appellieren, wenn du eines hättest", sagte sie verärgert und schenkte großzügig von dem aguardiente nach. Vielleicht konnte sie ihn so betrunken machen, dass sie eine Nacht Aufschub gewann - oder sich selbst bis zur Bewusstlosigkeit betrinken, damit er sich voll Ekel von ihr abwandte.
Er erriet ihre Absicht und trank einen Schluck, dann stellte er das Glas beiseite und ergriff den Krug, ehe sie sich selbst nachschenken konnte. "Hast du dir in meiner Abwesenheit angewöhnt, den geistigen Getränken zuzusprechen?"
Sie leerte ihr Glas und schüttelte sich. Dann stellte sie es auf die Anrichte und drehte sich zu ihm um. "Ich brauche Zeit, Lucero. Zeit für uns, damit wir uns kennen lernen, und Zeit für mich, damit ich mich an den Gedanken gewöhne, einen Gemahl zu haben."
"Du hast niemals damit gerechnet, dass ich zurückkehre, nicht wahr?"
Seine direkte Art erschreckte sie, aber warum sollte sie lügen? Er schien die unangenehme Fähigkeit entwickelt zu haben, sie zu durchschauen. "Ehrlich gesagt, nein. Der Krieg hat viele Verluste gefordert. Ich weiß, dass das Leben bei der contre-guerilla weitaus gefährlicher ist als bei der richtigen Armee. Selbst wenn du nicht getötet würdest, läge dir nicht genug an Gran Sangre, um zurückzukehren, so glaubte ich.
Nicht einmal, wenn Pater Salvadors Brief dich durch einen unglücklichen Zufall wirklich erreicht haben sollte."
"Und du, Mercedes? Liegt dir soviel an Gran Sangre?"
"Es ist jetzt mein Zuhause, und die Leute hier sind meine Familie. Ich habe seit dem Tod meiner Eltern keines von beiden besessen. Mein Vater war Diplomat und reiste während meiner Kindheit von Land zu Land. Meine Mutter und ich waren immer dabei. Der Konvent, in den mein Vormund mich brachte, war nur ein Übergang, bis eine Heirat arrangiert werden konnte. Ich hatte geglaubt, den Rest meines Lebens mit der Sorge für diesen Ort zu
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