Wildes Blut
Diablo zu nennen. Der Teufel. Sonderbar, wenn man bedachte, dass der Name Lucero "Licht" bedeutete. Doch Lucero brachte überallhin nur Dunkelheit.
"So tief in Gedanken versunken, hermano", sagte Lucero in stockendem Englisch. Seit er mit seinem Bruder zusammen war, hatte er begonnen, die Sprache zu lernen - auch wenn sie ihm noch weniger gefiel als Französisch. Seine farblose kleine Gemahlin war zur Hälfte englischer Abstammung, aber Nick war Amerikaner. Ein ziemlich kluger Amerikaner, dessen Ähnlichkeit mit ihm selbst ihn beinahe genauso faszinierte wie das unglaubliche Leben, das Nick führte. In der Tat war sein Bruder für den verwöhnten jungen criollo ein Held geworden.
"Was beschäftigt dich?" fragte er und wusste doch schon die Antwort.
Nick warf seine Zigarette ins Feuer. "Ich dachte, du wärest mit Esmeralda beschäftigt."
"Sie ist nur eine puta."
"Genau wie meine Mutter." Nick sah Lucero durchdringend an.
Die gespannte Atmosphäre löste sich auf, als ein Reiter in das Lager galoppierte. Nick erwartete Nachrichten von Colonel Ortiz. Er stand auf und winkte den Mann zu sich.
"Sind Sie el capitan?" fragte der grauhaarige ältere Mann in gebroche nem Englisch.
Fortune stellte sich auf spanisch vor und erkundigte sich nach den Befehlen aus Monterrey. Der Reiter händigte ihm ein kleines Päckchen aus, dann räusperte er sich und hielt einen anderen Umschlag hoch.
"Ich habe einen sehr wichtigen Brief, den der Colonel mir persönlich anvertraut hat. Er bekam ihn aus Sonora, von einem reichen hacendado. Er ist für Don Lucero Alvarado bestimmt.
Man hat mir gesagt, dass er bei Ihnen ist."
Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge um sie gebildet.
Auch Lucero war dabei, der nun mit ausgestreckter Hand vortrat. Er las die zerknitterte, von Wasser fleckige Botschaft mit einem schicksalsergebenen Ausdruck im Gesicht. Dann ging er davon.
Nick studierte die Nachrichten aus der Hauptstadt und anderen Gegenden, und die ganze Zeit über dachte er an den Brief für Lucero. Schließlich kehrte der Bruder zurück und setzte sich neben ihn.
"Zigarette?" fragte er und rollte den Tabak mit geschickten Fingern.
"Wenn du diesen ganz bestimmten Ausdruck im Gesicht hast, schwant mir nichts Gutes", erwiderte Nick und nahm den Tabak.
"Du bist vor ein paar Stunden davongegangen und hast ein Gesicht gemacht, als wäre der Himmel eingestürzt. Was ist geschehen?" Er entzündete die Zigarette und inhalierte den Rauch.
"Unser Vater ist tot. Man hat mir befohlen, heimzukehren.
Was würdest du sagen, wenn ich dir anbiete, mit mir die Rollen zu tauschen? Ich übernehme deine Männer, und du gehst als Don Lucero nach Gran Sangre."
"Warum zum Teufel solltest du das tun?" fragte Nick ungläubig.
Lucero zuckte lässig die Schultern. "Warum zum Teufel nicht? Ich habe keine Lust, sesshaft zu werden. Aber ich glaube, du schon." Er betrachtete Nick abschätzend. "Du hast mir mehr als einmal das Leben gerettet, und du hast verdammt mehr Interesse an mir gezeigt, als irgend jemand sonst in meinem Leben." Dann wechselte seine Stimmung abrupt, als fühlte er sich unbehaglich, weil er zuviel von sich preisgegeben hatte. Er grinste breit. "Zum Teufel, betrachte es als ausgleichende Gerechtigkeit, als dein Erbe, großer Bruder."
4. KAPITEL
Frühjahr 1866
Nick hustete, dann drehte er sich auf der weichen Matratze herum und erwachte im Schlafzimmer des Herrn von Gran Sangre. Sein Traum war ihm so wirklich erschienen wie die hölzerne Truhe neben seinem Bett. Er richtete sich auf und streckte den Arm aus, um nach Papier und Tabak zu greifen.
Aber er träumte nicht mehr. Er hatte es getan, wahrhaftig getan, hatte mit seinem Halbbruder den Platz getauscht und war nach Gran Sangre gekommen, um das Erbe als Anselmo Alvarados erstgeborener Sohn für sich zu beanspruchen. Das Erbe, das seine illegitime Abkunft ihm verwehrt hatte.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, setzte sich im Bett auf und starrte aus dem Fenster. Er war also Don Anselmos Erbe, auch wenn er nur ein namenloser Bastard war, von dessen Existenz der hacendado nie etwas erfahren hatte. Er empfand nichts für den Mann, der ihn gezeugt hatte. Zumindest hatte er das geglaubt, aber Lucero hatte gesagt, dass er sich nur selbst etwas vormachte.
Das Leben war verdammt hart gewesen, doch er hatte zu sehr ums Überleben kämpfen müssen, um sich Gedanken über seinen Vater zu machen. Ehe er Lucero traf, war ihm die bloße Vorstellung, einer adligen Familie zu entstammen,
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