Wildes Blut
die Naht am Ärmel.
Es war nur ein Reflex, dass sie ihm ins Gesicht schlug, noch immer bebend vor Zorn, verletzt und voller einander widersprechender Gefühle. In dem Augenblick, da ihre Hand seine Wange berührte, wusste Mercedes, dass sie einen fatalen Fehler begangen hatte. Sein Gesicht sah jetzt aus wie eine Teufelsmaske, als er böse lächelte, und seine Stimme klang wie ein tiefes, gefährliches Knurren.
"Das gehört sich aber nicht für eine gehorsame Ehefrau. Das gehört sich ganz und gar nicht." Er trat auf sie zu und legte ihr den Arm um die Taille. Dann zog er sie gewaltsam an sich und hielt sie so fest, dass es ihr den Atem verschlug. Zorn loderte in ihm auf. Zum Teufel mit ihr, sie brachte ihn in eine unmögliche Situation. "Du weißt, dass das ein Fehler war, nicht wahr, Mercedes?"
Sie sah in seine Augen, diese gnadenlosen Augen, und presste ihre Handflächen gegen seine Brust. "Ich habe keinen Fehler begangen, aber ich bin schwächer. Du wirst tun, was du willst. Ich kann dich nicht daran hindern, mich mit Gewalt zu nehmen."
"Rein rechtlich gesehen kann ein Mann seine Ehefrau mit Gewalt nehmen", sagte er tonlos. Aber du bist nicht ihr Ehemann, erinnerte ihn eine innere Stimme. Er seufzte und sah den wie gehetzt wirkenden Blick in ihren Augen, da ließ er sie los. Sie taumelte einen Schritt zurück. Seine plötzliche Bewegung hatte sie überrascht. "Ich habe nie eine Frau mit Gewalt genommen, nicht einmal im Krieg, als es so etwas oft genug zu sehen gab. Es gefällt mir nicht."
Er wandte sich um und verließ das Zimmer. Dann zog er die Tür zu seinem Schlafzimmer so gut hinter sich zu, wie es nur ging. Sie blieb allein in der Dunkelheit zurück.
Während der nächsten beiden Wochen schliefen Mercedes und Nicholas getrennt und gingen einander nach Möglichkeit aus dem Weg. Jeden Tag erhob er sich bei Morgengrauen und ritt mit seinen Vaqueros aus. Bei Einbruch der Dunkelheit kehrte er zurück, verschwitzt und erschöpft. Er fiel in einen traumlosen Schlaf, um mit dem ersten Hahnenschrei zu erwachen, und alles wiederholte sich wie bei einem Getriebenen. Sechs Tage, nachdem er ihre Tür aufgebrochen hatte, ritt er mit Hilario und den Vaqueros aus, um die herrlichen Pferde, die sie endlich eingefangen hatten, in einem der Canyons im Tal des Yaqui sicher unterzubringen. Er sagte Angelina, wann er zurückkehren würde, seiner Frau sagte er es nicht.
Auch Mercedes sorgte dafür, dass sie beschäftigt war. In Anbetracht der Umstände, unter denen sie die vergangenen Jahre verbracht hatte, war das nicht neu für sie. Aber die Art, wie sie arbeitete, hatte etwas von Besessenheit. Sie war unruhig, leicht erregbar und lächelte selten, alles in allem ganz anders als gewöhnlich. Die einzige Ausnahme in ihrem schweigsamen Verhalten war die Art, wie sie mit Rosario umging. Mercedes liebte die Tochter des Patron.
Die Diener im Haus spürten die Spannung zwischen Don Lucero und der Herrin. Sie wussten, dass die Patrona und ihr Gemahl einen Streit gehabt hatten und nicht zusammen schliefen. Lächelnd sagten sie, wenn der stolze Patron sie wieder in sein Bett holte, würde alles gut sein.
Nachdem sie den ganzen Tag das Graben der
Bewässerungskanäle überwacht hatte, kehrte Mercedes heim, schlammbespritzt, mutlos und erschöpft. Die Arbeit ging viel zu langsam voran, und die Pflanzen brauchten dringend Wasser.
Sie spülte den Schmutz von ihrem Körper und wusch sich das Haar, dann ging sie in die Küche, um gemeinsam mit Rosario ein leichtes Abendessen einzunehmen, ein Ritual, das sie aufgenommen hatten, seit das Kind nach Gran Sangre gekommen war. Als sie näher kam, hörte sie Rosarios Stimme.
"Aber warum nicht? Bitte, Angelina, lies mir den Schluss der Geschichte vor. Die Herrin war in der letzten Zeit abends so müde, dass ich mich nicht traue, sie zu fragen. Aber ich möchte so gern wissen, wie der Prinz seine Prinzessin findet, nachdem die böse Königin ihn fortgeschickt hat."
"Ich nehme an, sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende", entgegnete Angelina und rührte in dem Topf mit Bohnen, der auf dem Herd stand. "Abgesehen davon kann ich nicht lesen", fügte sie geduldig hinzu. "Leute unseres Standes haben keine Zeit für Bildung. Das ist nur etwas für Damen wie die Patrona."
"Werde ich lesen lernen? Die Mutter Oberin sagte immer, wenn ich Nonne werden möchte, darf ich es vielleicht lernen.
Aber ich glaube nicht, dass ich Nonne werden möchte. Ich möchte nur lesen können."
Ich
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