Wildes Blut
möchte nur lesen können. Mercedes hörte soviel Sehnsucht aus diesen Worten heraus. Doch Rosario wollte mehr als Bildung. Sie wollte das Gefühl, irgendwo hin zu gehören.
Niemand hatte je genug Zeit mit ihr verbracht, die sie so nötig brauchte, seit ihre Mutter gestorben war. Sie war in ein fremdes neues Zuhause geschafft worden, wo es so vieles gab, an das sie sich erst gewöhnen musste. Das Kind verdiente Besseres als das, was es bisher vom Leben bekommen hatte.
Mercedes gelobte sich, Rosarios Erziehung keinen weiteren Tag mehr zu vernachlässigen. Dann betrat sie die Küche und ging zu dem kleinen Mädchen hinüber, das mit Bufon neben sich am Herd saß. Er stand auf, bellte zur Begrüßung und unterbrach damit Angelinas ungeschickte Versuche, den direkten Fragen des Kindes auszuweichen, denn die alte Köchin wusste nichts über die Pläne des Patron, soweit sie seine uneheliche Tochter betrafen.
Mercedes streichelte den großen Hund und wich seinen feuchten Küssen aus, so dass Rosario kicherte. Dann umarmte sie das kleine Mädchen. "Was hast du denn gelesen? Zeigst du es mir?" Sie betrachtete das Buch. "Ich kann mich an dieses nicht erinnern", sagte sie mit einem verwunderten Stirnrunzeln.
"Das liegt daran, dass mein Papa es mir gegeben hat. Er hat die Hälfte der Geschichte vorgelesen, dann ging er fort, um die Pferde einzufangen." Sie blätterte durch das Buch und fand die Seite, die sie an der Zeichnung zu Anfang des Kapitels erkannte.
Mercedes war erstaunt. "Dein Papa hat dir vorgelesen?"
Sofort errötete sie heftig, als sie bemerkte, dass Angelina mitleidig den Blick abwandte. Jeder weiß, dass wir nicht zusammen schlafen und kaum miteinander spreche n.
"O ja! Er sagte, er würde die Geschichte zu Ende vorlesen, wenn er wiederkommt, aber so lange kann ich nicht warten", erwiderte Rosario, ohne etwas von den stummen Blicken zu bemerken, die zwischen der Herrin und der Köchin gewechselt wurden.
Mercedes dachte an die vielen Stunden, die Lucero im Sattel verbrachte, und fragte sich, wann er die Zeit dafür gefunden hatte. Rosario beantwortete diese Frage schnell.
"Als du dich gewaschen hast, nachdem du bis spät am Abend auf den Feldern gearbeitet hast, kam er in mein Zimmer und las mir vor, ehe du mich zu Bett brachtest. Ich glaube, ich war schon zu müde, um es dir zu erzählen", fügte sie unsicher hinzu.
Mercedes schluckte schwer. "Ich habe dich vernachlässigt, seit wir angefangen haben, an diesen elenden Gräben zu arbeiten", sagte sie und nahm Rosario in die Arme.
"Sei nicht traurig. Es ist schon gut", tröstete das Kind. "Papa war ja da, und nun, da er fort musste, bist du hier." Sie berührte Mercedes' Haar, das noch feucht war vom Bad und nach Lavendel duftete. "Du riechst gut. Ganz anders als Papa. Wenn sein Haar nass ist, riecht es nicht so süß. Aber ich mag den Geruch trotzdem. Du auch?"
Angelina ließ ihren Löffel in den Topf mit den Bohnen fallen, dann nahm sie ihn schnell wieder heraus, ehe sie sich mit etwas anderem beschäftigte und der errötenden Patrona den Rücken zukehrte, damit diese ihr Lächeln nicht sah.
Mercedes ging weder auf die Frage des Kindes noch auf die Reaktion der Köchin ein. Sie sagte: "Ich verspreche, dass ich dir von jetzt an immer vorlesen werde." Und morgen werde ich Pater Salvador sagen, dass er mit deiner Ausbildung beginnen soll, nahm sie sich vor.
Mercedes war wöchentlich zur Beichte und zur Messe gegangen, hatte die Fastenzeiten und Feiertage beachtet, aber die eisblauen Augen vo n Pater Salvador schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu dringen. Als sie die Pflichten übernommen hatte, die dem Patron gebührten, hatte sie die Missbilligung von Dona Sofias Priester auf sich gezogen.
Dem strengen alten Priester gegenüberzutreten war wesentlich schwerer als das Gelöbnis in der Nacht zuvor.
Mercedes war dazu erzogen worden, gehorsam und unterwürfig zu sein, erst von ihren Eltern und dann durch das Beispiel der Karmeliterinnen, die sie unterrichtet hatten. Doch der Beichtvater ihrer Schwiegermutter hatte sie von dem Augenblick an eingeschüchtert, da er ihr von Dona Sofia vorgestellt worden war.
Zuerst hatte er sie ermahnt und streng zurechtgewiesen. Als sie mit den Vaqueros ausgeritten war und Seite an Seite mit den Peons gearbeitet hatte, war er außer sich geraten. Dann waren Colonel Rodriguez und die Kaiserlichen Soldaten zum Haus gekommen und voller Überheblichkeit davon ausgegangen, dass in Abwesenheit des Patron dessen Gemahlin
Weitere Kostenlose Bücher