Wildes Erwachen
Nürnberger?«
Sie schloss die Ofentür und erhob sich stöhnend. Kral traf ein böser Blick und die Antwort fiel entsprechend aggressiv aus: »Wos woll’ nern Sie doo? Mir kaaf’n nix!«
Die Frau war spindeldürr. Ihr Alter war schlecht zu schätzen. Das schmale Gesicht mit der spitzen Nase und dem kleinen Mund war von einem blauen Kopftuch umhüllt, das nur einige graue Haarsträhnen in die Stirn fallen ließ. Über der Kittelschürze trug sie eine abgewetzte und ziemlich verschmutzte Strickjacke. Die Füße steckten in Gummistiefeln.
Kral lächelte: »Liebe Frau Nürnberger, ich will nichts verkaufen, ich will kaufen. Ich komme von der Firma Franken-Bau. Wir suchen hier in der Nähe von Bayreuth Baugrund für unsere Kunden, die sich ein Haus in ländlicher Umgebung wünschen. Und vom Landratsamt habe ich erfahren, dass …«
»Wos Sie do derfohr’n hamm, is mir worschd, mir verkaaf’n nix.«
»Aber bedenken Sie doch, ich kann Ihnen und Ihren Söhnen ein attraktives Angebot machen, Sie brauchen ja nur ein paar Hektar zu verkaufen und Sie bekommen von uns 500.000 Mark pro Hektar, bar auf den Tisch des Hauses.«
Kral hatte inzwischen Zeit gehabt, den Raum gründlich zu mustern. Die ehemals weiß getünchten Wände hatten eine dunkle Färbung angenommen, die wohl von dem Ruß des offenen Ofenfeuers herrührte. Im Moment köchelte dort ein großer Bottich vor sich hin, dessen Inhalt, dem säuerlichen Geruch nach zu schließen, für die Schweine gedacht war. Auf dem großen massiven Holztisch in der Mitte der Küche stand noch ein Topf mit irgendeiner Suppe. Man hatte wohl gerade gegessen, denn noch standen Salz- und Pfefferstreuer neben dem Topf. Suppenteller und Löffel waren allerdings bereits auf der Platte neben der Spüle gelandet. Hier leben zwei Personen, dort stehen aber drei Teller!
Kral unternahm einen weiteren Versuch: »Können wir nicht Ihre Söhne in das Gespräch einbeziehen?«
Die Antwort wieder nur pure Aggression: »’s gibd bluuß nuch ann, den annern hod der Teif’l k’ullt. Und g’machd werd doo, wos ich sooch.«
Die dumpfen Schläge kamen nicht von draußen, eher aus dem Haus, aber nicht aus unmittelbarer Nähe, vielleicht aus dem Stall. Auch Frau Nürnberger schien das Geräusch zu hören. Wenn er sich nicht täuschte, traf ihn ein kurzer besorgter Blick. Dann folgte aber sofort eine Erklärung, die mit einer Spur plötzlicher Verbindlichkeit unterlegt war: »Der Depp, etzd haud er denn ald’n Verschlooch zamm.«
Gemeint war offensichtlich der übriggebliebene Sohn, der einen Verschlag für irgendwelche Tiere zu demontieren schien. Kral wollte sich gerade die witzige Anmerkung: »Das war aber eine kurze Demontage« erlauben, denn er hatte gerade mal sechs oder sieben Schläge wahrgenommen. Aber die Hausherrin hatte schon wieder zu ihrem schroffen Umgangston zurückgefunden: »Soo, und etzetla schaua Sa, dassa widder naus kumma!«
Kein Zweifel! Da stieg jemand die Kellertreppe hinab. Sie hätte am liebsten laut geschrien: Er hat mich gehört! Ich bin frei! Jetzt musste er vor der Tür stehen und horchen. Warum schließt der nicht auf? Klar, der Schlüssel steckt nicht! Das kann nicht der Nürnberger sein!
»Hallo, ist da jämand?«, rief sie zaghaft.
Der Schlüssel drehte sich im Schloss und schon stand er in der Tür, ging auf sie zu und brüllte mit wutverzerrtem Gesicht los: »Bleeda Sau, des host etzd fier dein Grawall!« Er zog ihr mit einem verknoteten Strick ein paar heftige Schläge über Kopf und Rücken. Dann ging er wieder auf die Tür zu. »Wenn’st net aufheerst, derschlooch ich diich!« Die Tür wurde verschlossen und seine Schritte entfernten sich.
Laut aufschluchzend warf sie sich auf die Liege, vergrub ihr Gesicht in der stinkenden Decke und hämmerte mit den Fäusten auf den Metallrahmen. »Wie lange noch? Ich halt’ das nicht mehr aus!« Zunächst nur der Gedanke: »Mama, verzeih mir, ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr! Entweder der macht’s oder ich!« Noch kein Entschluss, noch kein Plan, eben nur ein Gedanke, der sich aber nicht mehr wegwischen ließ.
Kral hatte sich seinen Auftritt ganz anders vorgestellt: Er würde irgendwo seine Karte ausbreiten und auf den Lockruf des Geldes setzen. Die Aussichten auf ein gutes Geschäft lösten in der Regel die Zunge, besonders dann, wenn noch ein Schnäpschen eingeschenkt wurde. Und nun diese Abfuhr! Was bleib ihm anders übrig, als den Rückzug einzuleiten: »Schade, Frau Nürnberger, Sie
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