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Wildes Erwachen

Wildes Erwachen

Titel: Wildes Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Koenig , Birgit Koenig
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früher einmal die Schule gewesen sein, darauf verwiesen die beiden Reihen von großen Fenstern. Jetzt war hier eine Tierarztpraxis untergebracht.
    Schuster hatte ihm gesagt, wenn er von der Autobahn Bayreuth–Bamberg komme, solle er bis zum Ortsende fahren. Gleich hinter dem Ortsschild biege ein schmaler Weg nach rechts ab, der direkt zum Hof der Nürnbergers führe. Es war gar nicht so einfach, auf dem Weg voranzukommen, die in den Schnee gepressten Fahrrinnen waren vereist. Das hatte den Vorteil, dass sein Wagen in der Spur blieb, aber immer wieder drehten die Vorderräder durch und Kral musste höllisch aufpassen, dass er nicht in einer etwas tiefer liegenden Kuhle stecken blieb.
    Nach etwa 400 Metern tauchte vor ihm das Anwesen auf, das von hohen Bäumen umringt war. Der Ort strahlte trotz der reichlich vorhandenen weißen Pracht eine Düsternis aus, für die wohl die dichte tiefgraue Wolkendecke verantwortlich war.
    Dazu kamen die Boten des Verfalls, die auf ein verlassenes Gehöft verwiesen. Das Bild löste in Kral Kindheitserinnerungen aus. Seine tschechische Großmutter hatte solche dunkel-geheimnisvollen Plätze immer mit Hexen in Verbindung gebracht. Sie hatte genau gewusst, dass der kleine Jan geradezu süchtig nach Gruselgeschichten war, erlaubten sie ihm doch, seine Ängste greifbar zu machen und aus der sicheren Distanz heraus in ein Gefühl des wohligen Grausens zu verwandeln.
    Jetzt, da er in der Mitte des Hofes stand, bemerkte er aber doch Lebenszeichen: Dem Schornstein des Wohnhauses entwichen dichte schwarze Rauchschwaden und aus dem daneben liegenden Stall drang das Muhen von Kühen.
    Kral wandte sich zunächst der offenen Scheune zu, in der ein alter Traktor und ein mit Holz beladener Anhänger standen. Kral entzifferte das reichlich verblasste Markenschild der Zugmaschine und lachte still in sich hinein: Sieh an, ein »Güldner«, der wird doch schon mindestens seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gebaut.
    »Hallo, ist hier jemand?«, rief er laut. Keine Antwort. Blieb noch das Haus. Er musste einen Bogen um den Misthaufen vor dem Stall machen. Am Morgen war wohl noch ausgemistet worden, denn die letzte Auflage sonderte ihre kräftig riechenden Dämpfe ab. Die Haustür war geschlossen, keine Klingel, kein Klopfer. Kral ballte die Rechte zur Faust und pochte gegen die abgewetzte Eichenholztür: keine Reaktion. Nach weiteren vergeblichen Versuchen drückte er die Klinke herunter und die Tür öffnete sich, fast wie von einer Automatik gesteuert, nach innen. Aus der zweiten Tür rechter Hand drang Licht. Das musste die Küche sein. So war das fast in allen alten Bauernhäusern.
     
    Das Geräusch ließ sie von ihrer Liege hochschießen. Könnte ein Auto sein! Vielleicht die Polizei! Sie stellte sich auf den Schemel und reckte sich, um einen Blick in den Hof zu erhaschen. Sie spürte das heftige Pumpen ihres Herzens als rhythmisches Rauschen in den Ohren. Viel war nicht zu erkennen, aber die schwarzen Umrisse im Hof mussten von einem Pkw stammen. Vielleicht die Kriminalpolizei! Sie verfluchte dieses Rauschen, das ihr die Chance nahm, irgendwelche Stimmen wahrzunehmen. Jetzt hörte sie aber doch ein schwaches »Hallo!«. Kurz danach sah sie eine männliche Gestalt, die am Auto vorbeiging und auf das Haus zusteuerte. Sie hatte schon damals, als der Polizeiwagen vorgefahren war, mit lautem Schreien versucht, auf sich aufmerksam zu machen, allerdings ohne Erfolg. Schreien würde ihr jetzt auch nichts nützen. Die Person musste im Haus sein, dann konnte sie mit dem Schemel gegen die Kellertür schlagen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dafür würde sie allerdings bitter büßen müssen, wenn der Besucher sie nicht entdeckte. Schließlich sah Nürnberger sie als seine Leibeigene, die man auch gnadenlos züchtigen durfte.
    Sie wartete eine Weile, bis sie sich sicher war, dass der Mann im Haus sein musste. Jetzt oder nie! Sollte er sie doch totschlagen! Immer noch besser, als in diesem Loch langsam, aber sicher zu verrecken oder verrückt zu werden! Entschlossen nahm sie den Hocker in beide Hände und knallte ihn mit aller Kraft gegen die Tür. Noch einmal und noch einmal, so lange, bis sie den Schemel zerlegt hatte. Er muss mich hören! Er muss, muss! Sie horchte. Wieder nur dieses blöde Pulsieren im Ohr!
     
    Vor dem großen Küchenherd kniete eine Frau, die Holzscheite in das Ofenfeuer schob. Da sie ihn nicht bemerkte, räusperte sich Kral und sprach sie an: »Entschuldigen Sie die Störung, sind Sie Frau

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