Wildes Erwachen
alt, ließ sie ein und führte sie in das große Wohnzimmer, um dann ihrem Vater den Besuch anzukündigen. Kral ließ den Raum auf sich wirken. »Rosenthal« lässt grüßen, dachte der Selber, als er die kostbaren Versace-Vasen und die Wiinblad-Teller an den Wänden registrierte. Eigentlich sein Geschmack, aber dass da auch noch unbedingt in Form von diversen Geweihen und ausgestopftem Getier auf das Hobby des Hausherren, die Jagd, verwiesen werden musste, schien ihm doch unpassend.
Als das Mädchen zurückkehrte, bat es freundlich, Platz zu nehmen. Die junge Dame präsentierte sich erstaunlich wohlerzogen und selbstsicher. Zunächst fragte sie, ob sie den Herren etwas anbieten dürfe, und kündigte an, ihr Vater werde sie gleich empfangen, im Moment führe er noch ein wichtiges Telefongespräch.
Die beiden verzichteten. Nach gut fünf Minuten betrat der Hausherr mit ausgebreiteten Armen und gespielter Zerknirschung den Raum. Er bitte die Herren von der Polizei vielmals um Entschuldigung, verkündete er mit lauter, sonorer Stimme, es tue ihm außerordentlich leid, dass die Herren hätten warten müssen, aber er habe den Oberbürgermeister am Apparat gehabt und »den kann man nicht so einfach abwürgen. Na, Sie wissen doch, wie empfindlich die Herren Politiker auf so etwas reagieren.« Dann äußerte er gleich seine Sorge um das Wohlergehen der Gäste: »Die Amelie hat Ihnen nichts angeboten? Die muss ich doch gleich mal …«
Der Mann sprach zwar hochdeutsch, aber er war unverkennbar ein Franke. er klopfte die Konsonanten p, t und k gnadenlos weich. Dr. Hamann, Chef des Selber Gymnasiums und selbst Franke, der sich diese Eigenart allerdings konsequent abtrainiert hatte, sprach in diesem Zusammenhang gerne von den »fränkischen Konsonantenschändern«.
»Danke, Herr Eberlein«, unterbrach ihn Schuster, »wir haben keine Wünsche, Ihre Tochter hat uns schon gefragt, lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Wir haben nur ein paar Fragen und müssen gleich weiter.«
Der Hausherr, wohl Mitte 50, ließ sich in einen Sessel plumpsen. Jetzt, da er seinen modischen Trachtenjanker geöffnet hatte, kam ein prächtiger Bierbauch zum Vorschein. Lachend bat er: »Fragen Sie mich, ich sage Ihnen alles, falls Sie nicht über meinen Umsatz sprechen wollen.«
»Ist auf Sie ein Suzuki Vitara zugelassen?«, wollte Schuster wissen.
Eberlein nickte.
»Wo befindet sich das Fahrzeug im Moment?«
»In Kolkenreuth, und zwar in der Scheune der ›Grünen Au‹, das ist ein Gasthaus.«
»Uns bekannt. Das Fahrzeug steht aber derzeit auf dem Bauernhof der Familie Nürnberger.«
Wenn Kral nicht alles täuschte, huschte über das Gesicht des Mannes ein kurzes Erschrecken, das aber sofort in ein sorgenvolles Kopfnicken überging: »Die Nürnbergers, Sie brauchen mir nichts zu erzählen, ich kenne die Sippschaft. Jetzt, nachdem der eine Sohn so tragisch ums Leben gekommen ist, pfeifen die doch aus dem letzten Loch. Irgendwie tun mir die Leute leid. Und …«
Schuster unterbrach ihn: »Das wollte ich im Moment gar nicht wissen. Sagen Sie mir nur, wie das Auto zu den Nürnbergers gekommen ist und ob Herr Döberlein und Herr Nürnberger das Auto benützen durften.«
Mit einem Tippen an die Stirn deutete der Hausherr Vergesslichkeit an: »Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Der Wirt hat mich gebeten, den Wagen für einige Zeit woanders unterzustellen, weil er die Scheune für einen anderen Zweck braucht. Und da habe ich ihn zu den Nürnbergers gebracht. Und zu Ihrer zweiten Frage: Jein! Also der Döberlein schon, wenn sein eigener mal wieder in der Werkstatt stand, der Nürnberger eigentlich nicht, aber einmal habe ich’s erlaubt, weil er für seine Mutter dringend ein Medikament aus Bayreuth holen musste.«
»Wann?«
»Das war an einem Samstag vor drei oder vier Wochen. Der Döberlein hat mich angerufen und gefragt.«
»Uns ist bekannt, dass Sie die Jagd in Kolkenreuth gepachtet haben«, fuhr Schuster fort. Kopfnicken. »Haben oder hatten Sie Kontakt mit der Familie Nürnberger?«
Schulterzucken: »Was heißt Kontakt? Ich bin da öfter vorbeigefahren, wenn ich im Revier unterwegs war. Der Hans-Jürgen hat mir auch manchmal geholfen, wenn eine Nachsuche nach einem Stück Wild nötig war oder eine schwere Wildsau ins Auto zu hieven war. Ich war auch ab und zu in dem Haus und habe ein paar Worte mit seiner Mutter gesprochen. Ein paar Mal habe ich denen auch einen Schein zugeschoben. Wie gesagt, die Leute haben mir leid
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