Wildes Herz
Nussbaumholz brachten einen interessanten Kontrast mit ins Spiel. Die Vorhänge waren aus dem gleichen floralen Overkill genäht, wie das Bettzeug, dessen Kanten mit überbordenden Rüschen besetzt war. Niedlich, aber ein Tick zu viel des Guten! Es wirkte auf mich wie das Zimmer einer älteren Dame. Auf Dauer würde mich dieser Kitsch erdrücken.
In Bristol nannte ich ein kleines Zimmer im ehemaligen Wäschekeller mein Eigen. Recht sauber, aber wirklich winzig. Neben meinem Bett hatte mit Ach und Krach ein kleiner Schrank Platz gefunden. Ich konnte dessen Türen nicht einmal vollständig öffnen, stießen sie an mein Bett. Mein Zimmer war eine bessere Besenkammer, zweckmäßig und dennoch liebte ich es. Niemand, aber auch niemand kam dort herein. Es war mein Reich, mein Rückzugspunkt, den nicht einmal Claude oder Kate entweihen durften. Desmond hatte die Anweisung gegeben, dass niemand mein Domizil betreten durfte und erstaunlicherweise, hielt er selbst sich auch daran.
Der Raum, in dem ich mich jetzt befand, war nicht riesig, dennoch fühlte ich mich verloren. Meine Wölfin fühlte sich noch immer unruhig auf dem fremden Terrain und suchte nach einem Bezugspunkt, etwas Vertrautem. Mein Blick fiel aus dem Fenster zu meiner Seite. Bäume! Das Licht brach sich durch den Mischwald und ich konnte ihn riechen. Harzig, frisch nach Holz, Chlorophyll und Gras. Und ich roch Wasser. Sehr frisches, klares Wasser eines Sees, den ich in der Ferne am Horizont, dank meiner guten Wolfsaugen, jetzt auch erspähen konnte. Er schien riesig zu sein. Vielleicht war es ja auch das Meer?
Es roch nicht nach Stadt. Nicht nach dem Fluss – dem Avon - um den herum sich Bristol erstreckte. Meinem Wolf missfiel die urbane Lebensweise in der Stadt von Anfang an. Ich war in Aspen aufgewachsen und ein Naturkind. Kaum das ich laufen konnte, war ich wie eine Gämse die Berge hochgeklettert. Ich hatte im Roaring Fork River gefischt und in den dichten Wäldern gecampt. Dieser Ort erinnerte mich stark an mein ehemaliges Zuhause. Meine Wölfin löste sich endlich aus ihrer Habachtstellung und rollte sich zufrieden zusammen. Wo es so schön war, konnte es nicht schlecht sein. Was das anging, war sie sehr oberflächlich und viel zu vertrauenswürdig.
Neben dem Bett, auf einer kleinen Kommode, lag eine riesige Tafel Schokolade. Gute Schweizer Schokolade mit einem hohen Kakaoanteil. Genauso liebte ich meine Schokolade. Je herber, desto besser. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Die Tafel sollte wohl das Lykaner-Pendant zu dem Schokoladentäfelchen darstellen, das man auf Hotelkissen fand. Meine Fressgier siegte. Ich brach eine Rippe der noch geschlossenen Packung ab und riss das Papier hektisch auf. Mein Hunger war riesig, war ich verletzt. Selbst die ganze Tafel würde allerdings nicht genügen, um die Nährwerte zu erhalten, die ich benötigte, um die Verletzungen zu heilen. Ich sehnte mich nach einem riesigen Stück Fleisch, sehr blutig und das, wo ich in der Regel fast vegetarisch lebte! Nachdem ich die ganze Tafel verputzt hatte, fiel mein Augenmerk auf das Stück Papier darunter. Dickes, sehr nobles Papier in einem Elfenbeinton mit eingeprägtem Briefkopf.
Christian Barley
- Master Translatologie, Simultandolmetscher -
Englisch & Deutsch
Gebärdendolmetscher
Oshkosh, Wisconsin
Ich hatte es nicht so mit Fremdsprachen. Desmond hatte mich genötigt, mit Claude Französisch zu lernen. Doch was das anging, war ich relativ talentfrei. Deutsch fiel mir leichter, hatte es in meinem alten Rudel eine deutschstämmige Lykanerin gegeben. Trudi hatte mir deutsche Lieder vorgesungen und deutschsprachige Märchen vorgelesen, als ich ein kleines Mädchen war. Sie war nett und die Sprache kam mir dadurch näher als Französisch, das der verhasste Claude mir beizubringen versuchte.
Dass Christian Sprachen studiert hatte, war kaum verwunderlich! Er machte auf mich einen sehr eloquenten Eindruck. Abby zog ihn auf, dass er zu viel quasselte. Ich mochte es, war er einfach lebendig und redete meiner Meinung nach auch nicht zu viel.
„ Willkommen in meinem bescheidenen Heim in Oshkosh!“, stand auf dem Zettel. Für einen Mann hatte er eine schöne Handschrift, elegant und geschwungen. „Zu deiner Rechten befindet sich ein kleines Bad. Es ist nicht riesig, aber Du kannst Dich frisch machen. Auf dem Sessel liegen Kleider zum Wechseln. Die Tür neben dem Schrank bringt Dich ins Treppenhaus. Die Treppe führt direkt zum Wohnbereich, wo Du uns Gesellschaft
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