Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
Vom Netzwerk:
Mutter, während sie sich in die Reihe stellten. »Und soll er nur lachen, der Ganger! Wir haben jedenfalls bekommen, was wir wollten.«
    Was sie bekamen, waren geflochtene Körbe, die sie mit Steinen füllen und aus dem Steinbruch schleppen mussten. In den ersten Stunden hatten sie bei aller Mühsal keine Schwierigkeiten, die Böschung auf dem schrägen, ausgetretenen Weg mit der Last zu erklimmen. Das Tempo der Kolonne, in die sie sich einreihten, erschien ihnen im wahrsten Sinne des Wortes erträglich. Sie waren harte Arbeit und schwere Lasten gewohnt.
    Aber als die Sonne, die nicht mehr die Wärme des Vortages besaß, ihrem Zenit entgegenkroch, begannen Rücken, Arme und Beine spürbar gegen die Anstrengungen zu protestieren. Éanna versagte sich jedes Stöhnen und Jammern, aber sie warf immer wieder besorgte Blicke zu ihrer Mutter hinüber. Catherine war nicht mehr die Jüngste, und wenn schon Éanna Schmerzen verspürte, wie mochte es erst ihr ergehen?
    Doch Catherine bedeutete ihr hastig, nach vorn zu schauen. Die Reihe durfte auf keinen Fall durch ihre Schuld ins Stocken geraten. Wem das passierte, der hatte augenblicklich einen der vier Whip-ups an seiner Seite und bekam die ersten scharfen Ermahnungen und das Knallen seiner Peitsche nah an seinem Kopf zu hören.
    Wer wiederholt vor Entkräftigung für Stockungen oder andere unliebsame Zwischenfälle sorgte oder gar aus der Reihe ausscherte, um seinen Korb abzusetzen, der hörte recht bald den gefürchteten Zuruf des Einpeitschers: »Ein Viertel!«
    Das bedeutete, dass ihm ein Viertel seines Tageslohns abgezogen wurde. Und wer danach noch immer nicht so spurte, fand sich vor dem Tisch des Gangers wieder und wurde ausgetragen. Vier waren es, die bis zur Mittagsstunde Platz für andere machen mussten, drei Frauen und ein Junge, dem die Haare durch Unterernährung schon büschelweise ausgefallen waren.
    Am Nachmittag folgten noch sechs weitere. Einer der Männer, der im Steinbruch mit seiner Schubkarre immer wieder von der Planke gestürzt war, kroch, ohne einen Laut von sich zu geben, auf allen vieren davon.
    Weder Éanna noch ihre Mutter mussten von den Einpeitschern an ihrem ersten Tag ermahnt werden. Sie gehörten zu jenen, die besser bei Kräften waren als viele andere, die schon länger Hunger litten und dennoch diese zermürbende Arbeit im Steinbruch verrichteten. Doch als nach vier Tagen das Wetter umschlug und beständiger Regen einsetzte, begannen auch sie zu spüren, wie sie von Tag zu Tag schwächer wurden. Den ganzen Winter über war diese Arbeit mit Sicherheit nicht durchzuhalten. Vermutlich nicht einmal einen Monat.
    Doch das Ende kam viel schneller, als sie befürchteten.

Fünftes Kapitel
    Wäre der Wind nicht gewesen, so manches hätte in Éannas Leben möglicherweise einen völlig anderen Verlauf genommen. Doch der Wind kam wie meist in Irland mit dem Regen und fegte aus Nordost beständig über Steinbruch und Straße hinweg. Tagelang ergossen die dunklen Wolken ihr Wasser auf die Erde.
    Éanna und ihre Mutter gehörten noch zu den Glücklichen, denen immerhin ein dicker Mantel sowie Schal und Wollmütze ein wenig Schutz boten. Vielen anderen klebten schon nach der ersten Regenstunde die dünnen Lumpen klatschnass am Körper. Doch irgendwann kapitulierte selbst der dicke Wollumhang vor den unablässig herabfallenden Tropfen und ließ sie durch den Stoff dringen bis in die fadenscheinige Leibwäsche.
    Die Arbeit wurde zu einer verzweifelten Plackerei. Als wären die Körbe nicht auch so schon schwer genug, galt es nun, sich über den schlammigen Weg die Böschung hochzukämpfen. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, ein falscher Tritt, und schon rutschte man auf dem glitschigen Untergrund aus und schlug mit dem steingefüllten Korb auf dem Rücken in den Matsch.
    Übellaunig, dass auch sie sich dem Regen aussetzen mussten, ließen die Whip-ups ihren Groll an den Tagelöhnern aus. Ihre Peitschen knallten jetzt noch öfter als zuvor, als wollten sie sich damit warm halten. Und rücksichtslos warfen sie jeden aus den Arbeitskolonnen, der in dem aufgeweichten Dreck das Tempo nicht mehr mithalten konnte.
    Es war der fünfte Tag im Steinbruch, und noch immer hatte der Dauerregen nicht nachgelassen. Éanna hatte vom frühen Morgen an jede Fuhre gezählt, die sie zur Straße brachte. Das monotone Auf und Ab ließ sich leichter ertragen, wenn sie sich aufs Zählen konzentrierte.
    Jedes Mal, wenn sie die schwere Fuhre erneut anhob und durch den Schlamm

Weitere Kostenlose Bücher