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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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anschwellenden Menge wenig später hinunter zum Fluss. Dort hatte eine christliche Hilfsorganisation aus England zwei große Zelte aufgeschlagen, die miteinander verbunden waren. Der Union Jack, die Flagge der britischen Krone, wehte an einem Mast über den Zelten. Aus dem linken Zeltdach aus Segeltuch ragte durch eine Öffnung ein Blechschornstein auf, aus dessen Öffnung Rauch in den Himmel aufstieg. Dort musste sich die Küche befinden.
    Jedes der beiden Zelte war bestimmt groß genug, um fünfzig Personen zu fassen, wie Éanna schätzte. Und über dem einzigen Eingang hing ein Schild, auf dem mit geschwungenen schwarzen Buchstaben geschrieben stand: Die wiedergeborenen Freunde Jesu – Sektion Liverpool .
    Zwei, drei Schritte vor dem Eingang befand sich eine Absperrung aus schweren Böcken, die durch Seile miteinander verbunden waren. Zwei große, kräftige Männer in schwarzen Überröcken wachten darüber, dass die Hungernden nicht einfach ins Zelt stürzten. Sie hielten schwere Prügel in der Hand.
    »Das sind elende Wiedertäufer«, zischte eine kleinwüchsige Frau vor Éanna verächtlich, um dann mit bitterer Enttäuschung hinzuzufügen: »Warum hat das denn keiner gesagt?«
    »Und wenn sie die Schergen des Teufel wären, sie teilen Essen aus, und das reicht mir und meiner Kleinen!«, gab eine andere Frau zurück, die ein abgemagertes Kleinkind von höchstens fünf Jahren an ihrem Rockzipfel hängen hatte.
    »Mir nicht! So tief bin ich noch nicht gesunken. Da halte ich dem Stadtvolk lieber meine Bettelschüssel vor die Nase«, erwiderte die Kleinwüchsige. »Sollen diese Freunde Jesu an ihrem Essen verrecken, verdammte englische Seelenfänger!« Damit drängte sie sich aus der Menge.
    Éanna hatte keine Zeit, jemanden zu fragen, was die Frau dazu gebracht hatte, auf das Essen zu verzichten, oder was es mit der Seelenfängerei auf sich hatte. Ihr einziger Gedanke galt nur noch ihrem Hunger, der in ihr tobte und nagte wie ein wildes Tier.
    Ein Aufseher hob die Hand, und Éanna wurde von dem Pulk, in dem sie stand, mit ins Zelt gerissen.
    Innen hatten die Engländer zwei lange Tischreihen mit Holzbänken aufgestellt. Vor jedem Sitzplatz fand sich ein Blechteller mit einem Löffel. Teller wie Löffel waren mit dünnen Eisenketten am Tisch befestigt. Ein erhöhtes Lesepult erhob sich an der Stirnseite. Dahinter hing ein Kreuz, aber ohne den Corpus des Gekreuzigten.
    Wie Éanna richtig vermutet hatte, ging es am anderen Ende des provisorischen Speiseraums in das Küchenzelt. Ihr Blick fiel auf große, dampfende Kessel, in dem mehrere Köchinnen mit paddelähnlichen Gebilden rührten. Ein köstlicher Geruch trieb zu ihnen an die Tische herüber.
    Ein großer, sehniger Mann in einer Art Talar mit weißem Rüschenkragen bestieg das Pult. Laut klopfte er mit den Knöcheln seiner Faust auf das Brett, um sich Gehör zu verschaffen. Sofort erstarb das Getuschel und Geraune an den Tischen.
    »Wir Freunde Jesu heißen Euch arme Geschöpfe Gottes willkommen!«, begrüßte er die Menge, doch nicht Freundlichkeit, sondern Strenge klang aus seiner Stimme. »Jeder wird hier reichlich zu essen bekommen, also schlingt es nicht in euch hinein, sondern zeigt Sitte und Anstand. Ihr habt dabei jede Form von papistischem Aberglauben zu unterlassen. Hier im Angesicht des wahren Gottes wird sich nicht bekreuzigt. Wer es dennoch tut, muss seinen Platz räumen und das Zelt umgehend verlassen.«
    Leises Raunen erhob sich im Zelt. Einige Männer und Frauen standen auf, schlugen demonstrativ das Kreuz und marschierten mit verächtlichem Blick für den Sprecher aus dem Zelt. Die Mehrzahl blieb jedoch sitzen, wenn auch nicht wenige mit grimmiger Miene.
    Wieder klopfte der Mann am Pult laut auf die Platte. »Ruhe! Bevor das Essen auf den Tisch kommt, wollen wir Gottes Erbarmen für all die irregeleiteten Schafe unseres Herrn erbitten, die in der Dunkelheit abergläubischer Riten wandeln und noch immer nicht zum wahren Glauben gefunden haben«, verkündete er.
    Éanna hörte kaum hin, was der seltsame Priester auf der Kanzel von sich gab. Sie starrte hinüber in das Küchenzelt, wo jetzt große Schöpfkellen in die Kessel eintauchten und eine lange Reihe von bauchigen Blechschüsseln füllten. Nur mit halbem Ohr bekam sie mit, dass der Mann hinter dem Pult irgendetwas von den Schrecken der Hölle sagte, von der nur Auserwählte Gottes verschont würden.
    Da war vom Antichrist in Rom die Rede und von der ewigen Verdammnis für diejenigen, die

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