Wildes Herz
von ihrem Erfolg, es Paddy und den anderen Kerlen gezeigt zu haben.
Ein Mädchen gegen fünf Jungs, das machte ihr so schnell keiner nach!
Éanna wusste später nicht mehr, ob es an ihrem Hochgefühl oder an der Erschöpfung gelegen hatte, dass ihre Aufmerksamkeit schließlich nachließ und sie langsamer wurde. Und so merkte sie erst, als es zu spät war, dass sich ihr jemand von hinten näherte.
Zu Tode erschrocken fuhr sie herum und riss das Messer aus der Innentasche, bereit, sich abermals zu verteidigen.
Fünfzehntes Kapitel
»Sachte«, hörte sie ihren Gegenüber sagen. Unter dem Rotschopf blitzten zwei grüne Augen sie an. Doch es war nicht etwa Paddy, der sich von seinen Fesseln befreit hatte. Es war Brendan Flynn.
Éanna versuchte verzweifelt, ihre aufkommende Panik herunterzuschlucken. Der Kampf mit Paddy hatte seine Spuren hinterlassen, und sie wusste nur zu genau, dass sie einer neuerlichen Auseinandersetzung schwerlich mehr gewachsen war.
»Fass mich ja nicht an! Sonst wird es dir wie Paddy ergehen!«, schrie sie und hörte selbst die Mutlosigkeit und Ohnmacht in ihrer Stimme. Voller Furcht blickte sie sich um, ob sich die anderen seiner Bande bereits von hinten angeschlichen hatten.
Brendan trat einen Schritt zurück und hob beide Arme, wie um anzuzeigen, dass sie nichts zu befürchten hätte.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Zumindest nicht vor mir.«
Éanna wich weiter zurück. Der Schreck saß ihr so tief in den Gliedern, dass sie niemandem über den Weg getraut hätte und schon gar nicht einem von Paddys Bande. Das Messer in ihrer Hand zitterte.
»Hör mir zu«, sagte er. »Ich bin allein.« Er sah sich sichernd um. »Fragt sich nur, wie lange. Die anderen sind zurück zur Scheune, um Paddy zu helfen. Ich hab mich abgesetzt.« Er zögerte einen Moment, dann grinste er schief. »Ehrlich gesagt, hab ich schon lange die Schnauze voll von Paddy und seinen großspurigen Taten. Aber glaub mir, ich kenne ihn nur zu gut. Es wird nicht lange dauern, bis er hier auftaucht. Du tätest besser dran, wenn du hier schleunigst verschwindest.«
»Ach, und was denkst du, hatte ich gerade vor?« Éanna ballte die leere Hand zur Faust. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?
»Wenn du ihm wirklich entwischen willst, hast du die falsche Richtung eingeschlagen«, erwiderte Brendan ruhig. Er deutete auf die Landstraße, die Éanna fast erreicht hatte. »Hier werden sie dich als Erstes suchen. Und sie finden dich. Du hast Paddy vor allen anderen bloßgestellt, das wird er kaum auf sich sitzen lassen.«
»Und wer bist du?«, fragte Éanna zornig. »Mein Retter in der Not, Brendan Flynn?«
»Schau an! Du hast dir also meinen Namen gemerkt, ja?« Wieder dieses schiefe Grinsen.
»Nicht nur den, sondern ich habe auch nicht vergessen, wozu du und deine Freunde fähig seid«, brach es aus ihr heraus. Die ganze Enttäuschung über ihre missglückte Flucht lag darin. »Also wage es nicht, mir zu nahe zu kommen, wenn du nicht mit der Klinge hier schmerzhaft Bekanntschaft schließen willst!«
»Hältst du mich für so einfältig, dass ich versuche, mich mit einer kaltblütigen Messerstecherin wie dir anzulegen?« Ein wenig Spott lag in seiner Stimme. »Außerdem würde ich dann wohl kaum hier herumstehen und mich mit dir streiten, oder?«
Das sprach nun in der Tat dafür, dass er ihr nichts Böses wollte. Und es nahm ein wenig von ihrer Angst. Aber vielleicht war das ja nur eine besonders hinterlistige Art, sie in Sicherheit zu wiegen, um den anderen Zeit zu geben, sie einzuholen?
Doch seine Taten straften ihre Vermutungen Lügen. Denn plötzlich packte Brendan sie am Arm.
»Sie kommen«, flüsterte er warnend. Und tatsächlich: Hinter dem Hügel näherten sich wütende Stimmen. Paddys Flüche waren weithin zu vernehmen.
Brendan sah ihr ins Gesicht. »Vertrau mir«, sagte er eindringlich. Jeglicher Spott war aus seiner Stimme verschwunden. »Komm mit!«
Éanna zögerte. Sollte sie ihm glauben? Sicher, er hatte ihr schon einmal geholfen, als er an den Fluss zurückgekehrt war und ihr das Stück Brot gegeben hatte. Andererseits war er ein Mitglied von Paddys Bande, und was von denen zu halten war, das brauchte Éanna sich nicht zu überlegen. Nur – hatte sie denn eine Wahl? Vorhin war der Überraschungsmoment auf ihrer Seite gewesen. Jetzt sah die Sache anders aus.
Sie wusste, dass Paddy und seine Freunde weitaus kräftiger waren als sie. Selbst wenn sie jetzt wegrannte, würde es
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