Wildes Herz
hinunterbeugte und sie an der Schulter fasste, machte sie sich so schwer wie möglich. Doch noch bevor er sie auf den Rücken gezerrt hatte, schoss ihr linker Arm schon zu seinem Kopf hoch. Ihre Hand fuhr in sein strohdickes karottenrotes Haar und verkrallte sich mit aller Kraft in seinem Schopf. Fast gleichzeitig riss sie das Messer hoch und setzte es ihm an die Kehle.
»Rühr dich bloß nicht von der Stelle!«, fauchte sie. All ihre unerträgliche Anspannung und Angst lagen in diesem wilden, gellenden Schrei. »Eine falsche Bewegung und ich steche dich ab!«
Entsetzt riss Paddy die Augen auf und erstarrte in seiner gebückten Haltung, als wäre er von einer Sekunde auf die andere zu Stein geworden.
Die vier anderen wichen erschrocken zurück. Fassungslos sahen sie zu, wie die scheinbar Tote in Wirklichkeit noch überaus lebendig war.
»Heiliger Lazarus!«, stieß einer von ihnen hervor. »Das ist doch die Schickse, die wir in Ballinasloe unten am Fluss ausgenommen haben. Die hat uns reingelegt!«
»Mach bloß keine Dummheiten mit dem Messer«, keuchte Paddy. Er hatte offenbar den ersten Schock inzwischen überwunden, wagte jedoch nicht, sich zu bewegen. Vorsichtig schielte er hinunter auf die Klinge, die zwischen Kinn und Adamsapfel gegen seine Kehle drückte. »Okay, du hast uns getäuscht und mich ganz ordentlich erschreckt«, sagte er beschwichtigend. »Nicht schlecht gemacht. Aber jetzt nimm schon das verfluchte Messer weg! Du hast doch nicht den Mumm, mir die Kehle durchzuschneiden.«
»Stell mich auf die Probe!«, zischte Éanna. »Ich stech zu, das verspreche ich dir! Und jetzt komm schön langsam mit mir hoch. Wenn du irgendeinen Trick versuchst, hast du die längste Zeit Leute überfallen und ausgeraubt.« Dabei richtete sie sich langsam auf, ohne ihren festen Griff in seinem Haar zu lockern und den Druck ihres Messers zu verringern.
»Du bluffst!«, fauchte Paddy, gehorchte jedoch. »Wenn du das wirklich tust, werden dich meine Kumpel in der Luft zerreißen, darauf kannst du Gift nehmen. Sobald sie mit dir fertig sind, wirst du wünschen, du wärst schon längst irgendwo in einem Graben krepiert!«
»Wirklich?«, fragte Éanna gedehnt und gab sich alle Mühe, das Zittern ihrer Hand zu unterdrücken. »Meinst du tatsächlich, die haben noch Lust, sich mit mir anzulegen, wenn du vor ihren Füßen an deinem Blut ersäufst?« Und damit er begriff, dass sie ihre Drohung ernst meinte, zog sie ihm die scharfe Schneide ein kurzes Stück über die Kehle – und ritzte ihm die Haut auf. Ein dünner Faden Blut trat aus dem Schnitt hervor.
Schmerzhaft zuckte Paddy zusammen. »Verdammt! Du bist ja verrückt!«, stieß er hervor.
»Kann schon sein«, erwiderte Éanna mit fester Stimme. »Jedenfalls war das meine letzte Warnung. Beim nächsten Mal bleibt es nicht bei einem harmlosen Ritzer, das schwöre ich dir!«
Nun stand unverhohlene Angst in seinen Augen. Von seiner großspurigen Art war nicht mehr viel übrig geblieben.
Es war Brendan Flynn, der Kraushaarige, der nun beschwichtigend die Arme ausstreckte. »Schon gut. Wir glauben dir ja, dass du es ernst meinst«, versicherte er hastig. »Lass ihn los, und wir verschwinden! Du hast unser Ehrenwort!«
Éanna lachte spöttisch auf. »Du meinst, das Ehrenwort von fünf gemeinen Dieben, die zusammen über ein Mädchen herfallen? Vergiss es.«
Schamröte stieg Brendan ins Gesicht. »Also gut, sag du, wie wir die Sache ohne Blutvergießen aus der Welt schaffen können. Du hast das bessere Argument in der Hand.«
»Das will ich wohl meinen«, fauchte Éanna, während sie fieberhaft überlegte, wie sie sich heil aus dieser Angelegenheit manövrieren sollte. Sie musste sich schleunigst etwas einfallen lassen!
»Ja, sag, was wir tun sollen«, gab Paddy kleinlaut von sich. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn.
»Alle raus aus der Scheune!«, befahl Éanna kurz entschlossen. »Aber schön langsam und einer nach dem anderen. Hübsch im Gänsemarsch! Und glaubt ja nicht, mich da draußen überrumpeln zu können! Ihr bleibt in einer Reihe. Ich will euch alle immer im Blick haben, ist das klar?«
Brendan Flynn und die drei anderen nickten.
»Und du gehst genauso langsam vor mir her, Paddy! Vergiss dabei bloß nicht, dass ich dir das Messer nur einmal über die Kehle ziehen muss, wenn du irgendeinen dummen Trick versuchst«, warnte Éanna ihn.
»Bin ja nicht blöd«, gab dieser mürrisch zurück.
»Dann bewegt euch!«
Ganz langsam, so wie sie es verlangt
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