Wildes Herz
umstanden, fast erreicht.
„Es muss einen Ausgang von hier geben“, sagte sie laut und streichelte Zebra gedankenverloren.
Mehrere Minuten betrachtete Janna den senkrechten Spalt, der sich durch die letzte Felswand zog, die sie von der Hochfläche trennte. Sie sah einen schmalen Sims. Vielleicht führte der Weg bis nach oben, vielleicht auch nicht. Wenn er vorher endete, saß sie in der Falle. Der Platz auf dem Vorsprung reichte nicht aus, um ein Pferd zu wenden. Hatten Zebra und Lucifer ihn einmal betreten, konnten sie nur noch vorwärts und nach oben weitergehen.
Janna glitt von Zebras Rücken, fasste die Stute fest an der Nase und bedeutete ihr, dass sie stehen bleiben sollte. Die Ohren aufgestellt und mit geblähten Nüstern, verfolgte Zebra, wie ihre menschliche Freundin den schmalen Sims betrat. Janna blickte nur einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass Zebra an Ort und Stelle blieb.
Nach fünf Metern wusste Janna, sie befand sich auf dem richtigen Weg. Der Sims weitete sich zu einem Saumpfad, der für ein Pferd allerdings zu schmal war, um ihn sicher gehen zu können. Im Fels waren Kerben zu sehen, die von einem Hammer oder einem Meißel stammten. Offenbar hatte der ausgestorbene Indianerstamm einen natürlichen Riss im Felsgestein gerade weit genug ausgehöhlt, dass ein Mensch hindurchgehen konnte. Links von sich die überhängende Klippe, unter ihren Füßen den kaum vierzig Zentimeter breiten Pfad - der an manchen Stellen, wo Felsenstücke herausgebrochen waren, noch enger wurde - und rechts die jäh zum Talgrund abstürzende Felswand, tastete Janna sich durch den Einschnitt.
Der Pfad machte eine Biegung, und Janna verschwand hinter einem vorstehenden Felsen. Zebra wieherte leise, als wollte sie ein Fohlen zurückrufen. Als die leise Warnung nichts half, wurde ihr Wiehern schriller. Lucifer fügte einen dröhnenden Befehl hinzu, der durch das ganze verborgene Tal schallte.
Sofort tauchte Janna hinter der Biegung wieder auf und kehrte um, damit der Hengst sich beruhigte und nicht das ganze Utah-Territorium aufschreckte. Trotz der Eile ging sie mit langsamen und kleinen Schritten über den schmalen Vorsprung. Zebra wieherte leise, zur Ermutigung oder um ihre Freundin vor gefährlichen Stellen zu warnen. Dann war Janna wieder bei Zebra. Die Stute stupste sie mit der Nase. Lucifer, der das Ziel erreicht hatte, ein verirrtes Mitglied seiner Herde zurückzuholen, machte keinen Lärm mehr.
„Lieber Himmel, was für ein Organ du hast“, sagte Janna zu ihm. Der Hengst zeigte sich von ihrem Ärger nicht beeindruckt. Sie blickte auf den Sims zurück und schüttelte den Kopf. „Ich weiß, der schmale Vorsprung flößt sogar Menschen Angst ein. Ich kann mir vorstellen, was du bei seinem Anblick empfindest. Aber wenn du mir keine Möglichkeit gibst, ihn zu gehen, kann ich nicht herausfinden, ob der Sims tatsächlich ein Weg ist - und ob er bis ganz nach oben führt.“
Sie redete noch einige Augenblicke beruhigend auf die Pferde ein und kehrte auf den Sims zurück. Sie hatte keine zwei Schritte gemacht, als sie Gewehrfeuer hörte.
Sie erstarrte. Angestrengt lauschend, versuchte sie herauszufinden, woher die Schüsse kamen. Das hellere Knallen einer Winchester ließ keinen Zweifel zu. Das Gefecht fand vor dem Felsentor statt, wo Ty als Wache zurückgeblieben war. Die Indianer mussten beschlossen haben, den Eingang zu stürmen. Vielleicht täuschten sie auch einen Angriff vor.
Beide Möglichkeiten wirkten nicht gerade beruhigend auf Janna. Aus der Zahl der abgegebenen Schüsse schloss sie, dass die Indianer Verstärkung erhalten hatten. Wenn sie ihren Angriff gut planten, konnten sie sich gegenseitig Feuerschutz geben. Ein Teil der Gruppe lud nach, während die anderen weiterschossen. Ty hockte allein im Felsengang und hatte niemanden, der ihn schützte, während er neue Munition in seine Winchester schob.
41. Kapitel
Die Rückkehr über den alten Saumpfad beanspruchte deutlich weniger Zeit als der Aufstieg, doch für Janna dauerte er eine Ewigkeit. Endlich war der Untergrund sicher genug. Zebra konnte wieder schneller laufen. Janna trieb die Stute mit angedrückten Knien in einen harten Galopp und brachte sie erst vor dem dunklen Eingang zum Nadelöhr zum Stehen. Janna klopfte das Herz bis zum Hals. Sie sprang von Zebra und rannte in die schwarze Öffnung. In diesem Moment krachte neues Gewehrfeuer. Der schmale Gang zwischen den Felsen verzerrte die Geräusche. Die Schüsse klangen gleichzeitig nah
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