Wildes Herz
sind in der Dunkelheit auch unsichtbar. Schon jetzt rücken sie ständig näher, sich gegenseitig deckend, wenn sie von einem Versteck zum anderen huschen. Bei Anbruch der Abenddämmerung haben sie den Flaschenhals zugekorkt. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich keine Munition mehr habe und sie mich überwältigen.“
Er sagte nichts mehr. Das musste er auch nicht. Sie konnte seinen Gedanken allein zu Ende führen.
„Noch etwas ist zu bedenken“, fuhr er fort. „Wenn du den Pfad von dieser Seite aus gefunden hast, wer sagt uns dann, dass einer der Abtrünnigen nicht von der anderen Seite her die gleiche Entdeckung macht? Vor allem wenn er einen guten Grund zum Suchen hat. Dein Skalp ist ein guter Grund. Dank der Vision, die Cascabel hatte.“
Sie nickte unglücklich. Ihr war die gleiche Idee gekommen. „Wir können fast den ganzen Weg reiten.“
„Aber nicht bis zum Ende?“
„Der Saumpfad wurde lediglich für Menschen in den Fels gehauen,
nicht für Pferde.“
Er hatte nichts anderes erwartet. Er bückte sich, schob die Arme durch die Trageriemen seines Rucksacks und schulterte ihn. „Dann lass uns aufbrechen. Es ist nur noch wenige Stunden hell.“
Janna wandte sich zum Gehen. Dann durchfuhr sie ein Gedanke. „Was ist, wenn die Indianer durch den Felsengang brechen, während wir noch im Tal sind?“
„Ich habe den Abtrünnigen demonstriert, was ihnen blüht, wenn sie sich zeigen. Sollten sie es dennoch wagen ...“Ty straffte die Schultern. „... dann kann ich sie bei den Ruinen ebenso gut aufhalten wie vor dem Felsentor. Du hast Zeit genug, den Pfad hochzugehen.“
„Wenn du glaubst, ich würde dich allein zurücklassen ...“
„Ich sage dir, du gehst diesen Pfad“, unterbrach er sie. „Du wirst diesen verdammten Pfad nehmen. “
Sie schwieg. Sie wandte sich um und trat mit raschen Schritten den Rückweg durch den Felsengang an. Ty folgte ihr auf den Fersen. Als sie in das kleine Tal hinaustraten, standen Zebra und Lucifer gleich in der Nähe und beobachteten die Öffnung. Janna stieg auf Zebra und wartete. Ty zerrte die mit Gold voll gepackten Satteltaschen aus dem Versteck und sicherte sie auf Lucifers muskulösem Rücken. Dann saß auch Ty auf, und Janna trieb Zebra in einen Galopp.
Die wilden Pferde schafften die Strecke zu den Ruinen im Eiltempo. Janna verlangsamte den Ritt erst, als das Tal enger wurde und der Schotter zu grob, um schneller als im Trab voranzukommen. Das Rollen der Steine unter den Hufen hallte von den dicht zusammenstehenden Felswänden zurück. Janna lenkte Zebra durch das verzweigte Netz aus natürlichen und von Menschen geschaffenen Wegen. Zwischen Trab und Schritt wechselnd, gelegentlich stolpernd und schlitternd, erklomm die Stute das stetig steiler werdende Gelände. Lucifer hatte mit dem Gold und Ty die doppelte Last zu tragen, folgte aber ohne Schwierigkeiten. Der Hengst war stark, beweglich und nach dem Streifschuss aus Joe Troons Gewehr wieder völlig gesund.
Mehr als einmal dachte Ty, Janna hätte sich verirrt. Aber immer fand sie einen Pfad über das Ende einer zerklüfteten Schlucht hinaus oder vorbei an riesigen Schutthaufen, wo sich Felsblöcke aus den Klippen gelöst hatten und an tiefer liegenden Gesimsen zerschellt waren. Dann stolperte Zebra über einen zerklüfteten Felsgrat und blieb stehen. Ty fragte sich, ob Janna doch in die Irre gegangen war. Er hoffte nicht. Mittlerweile begann er selbst daran zu glauben, dass es einen zweiten Ausgang aus diesem Tal gab, das zuerst ein sicherer
Hafen gewesen und dann zur tödlichen Falle geworden war.
Janna blickte sich zu ihm um. „Bis hierhin können die Pferde gehen.“
Bevor er antworten konnte, war sie von Zebra geglitten. Sie rückte das kleine Bündel gerade, das sie auf dem Rücken trug, und betrat den schmalen Vorsprung. Ty stieg ab, mühte sich die letzten steilen Meter bergauf und sah den eng an den Felsen entlangführenden Pfad - und die steil abfallende Wand daneben.
„Gott steh uns bei“, flüsterte er.
Er bekämpfte den Drang, Janna zurückzurufen. Nur die Angst, sie auf dem gefährlichen Weg abzulenken, hielt ihn zurück.
Der Klang von Gewehrfeuer drang aus der Richtung des Felsentors zu ihnen. Die Abtrünnigen rückten weiter vor. Ty wandte sich um und blickte nach Osten. Er konnte den dunklen Spalt nicht sehen, der sich zur Wiese hin öffnete. Aber eine Sache war klar. Wenn die Abtrünnigen erst einmal in das Tal eingedrungen waren und auf der Suche nach ihrer
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