Wildes Herz
Satteltaschen gegen den überhängenden Fels, und das Pferd wurde nach außen abgedrängt, wo der Abgrund gähnte. Anders als Zebra blieb Lucifer nicht an dem Engpass stehen. Er legte die Ohren flach und setzte unerträglich langsam einen Huf vor den anderen. Dabei schwitzte er nervös, so dass sein dunkles Fell tiefschwarz glänzte.
Lucifer hatte das Ende fast erreicht, als unter seinem großen Gewicht ein Felsstück wegbrach. Der rechte Huf fand keinen Halt mehr, und der Hengst taumelte.
Mit einem unterdrückten Schrei verfolgte Janna, wie Lucifer wild um sein Gleichgewicht kämpfte und versuchte, den Körper nach vom und auf den Weg zu verlagern. Für lange Sekunden wankte der Hengst auf der Schwelle zum Absturz. Sich der Gefahr bewusst, stürmte Janna an Zebra vorbei, packte das Führseil an Lucifers Hackamore und zerrte den Hengst mit allen Kräften voran.
„Janna. “
Kaum war das entsetzte Flüstern über Tys Lippen gekommen, stakste Lucifer die letzten Schritte über den abgebrochenen Sims und sprang auf das breitere Wegstück. In seiner Hast, festen Boden zu gewinnen, schob sich der Hengst an Janna vorbei, und sie fiel hin. Lucifer drängte sich an Zebra, stupste ihr Hinterteil und verlangte, dass die Stute weiterging.
Ty spürte nicht, wie seine linke Schulter den Überhang streifte. Ohne an den schmalen Saumpfad zu denken, stürmte er voran und hatte nur noch Janna im Sinn. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu, als er neben Janna niederkniete und ihre Wange berührte.
„Janna?“
Sie versuchte zu sprechen. Es ging nicht. Stattdessen rang sie nach Luft.
„Bleib ganz ruhig, meine Süße“, sagte er. „Dir ist nur die Luft weg-
geblieben, weil dieser dumme Hengst dich gestoßen hat.“
Es vergingen einige Augenblicke, bis sich ihre Lungenflügel wieder füllten. Sie atmete ein paar Male unter Schmerzen röchelnd ein, dann wurde der Rhythmus ruhiger.
„Tut dir irgendetwas weh?“ fragte Ty.
Sie schüttelte den Kopf.
„Bekommst du jetzt genug Luft?“
Sie nickte.
„Gut.“
Er beugte sich vor, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Dann presste er einen Kuss auf ihre Lippen, der wild und zart zugleich war.
„Mach so etwas nie wieder“, sagte er heiser, als er wieder den Kopf hob. „Dein Leben ist zu kostbar. Kostbarer als ein Hengst. Kostbarer als Gold. Kostbarer als alles auf der Welt. Hast du mich verstanden, Janna Wayland?“
Sie nickte, mehr außer Atem durch seinen hungrigen und zärtlichen Kuss als durch den Zusammenprall mit Lucifer.
Ty sah Janna an. Ihre Augen waren klar wie Quellwasser und leuchteten warm. Er spürte, wie sein Herz sich zusammenkrampfte. Unfähig, die Empfindungen zu ertragen, die ihn innerlich zu zerreißen drohten, schloss er seine Augen.
Einen halben Meter von ihm entfernt zerbarst der Fels. Scharfe Splitter regneten über ihn und Janna. Aus dem unter ihnen liegenden Tal drang Schusslärm.
Er zog sie weiter über den Weg nach oben und hinter einen Felsvorsprung, bis sie vom Tal aus nicht mehr zu sehen waren. Weiter vom hörte man das Geräusch von hüpfenden und rollenden Steinen, die Zebra und Lucifer bei ihrem Aufstieg lostraten.
„Wenn du auf dem Hochplateau bist, warte zehn Minuten“, sagte Ty. „Sollte ich dann nicht kommen, spring auf Zebra, und reite wie der Teufel zum Fort. Kehre nicht um, Janna. Versprich mir das. Hier gibt es für dich nichts mehr zu tun. Dich erwartet nur der Tod.“
„Lass mich hier bleiben“, bettelte sie.
„Nein“, sagte er und fügte leise hinzu: „Bitte, Janna. Lass mir das Gefühl, dir etwas geschenkt zu haben. Nur dieses eine Mal. Als Gegenleistung für alles, was du mir gegeben hast. Bitte.“
Sie berührte mit zitternden Fingern seine Wange. Er wandte den Kopf und küsste ihre Fingerspitzen.
„Jetzt geh“, sagte Ty sanft.
Sie drehte sich um und verließ ihn mit raschen Schritten. Dabei versuchte sie, nicht zu weinen. Sie war keine dreißig Meter weit gekommen, als sie das harte, gleichmäßige Bellen aus seinem Karabiner hörte, mit dem Ty in das unter ihm hegende Tal feuerte.
Das letzte Stück bis zum Hochplateau musste Janna mehr kriechend als gehend bewältigen. Immer wieder türmten sich Schotterhaufen vor ihr auf. Hier und da säumten winterharte Pflanzen und Büsche den Weg durch die Schlucht. Zebra und Lucifer hatten überall Spuren hinterlassen, abgebrochene Zweige, umgedrehte Steine und schwache Hufabdrücke, wenn sie über Felsen geschrammt waren.
Die wenigen steilen Rampen
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