Wildes Herz
waren zum Glück kurz. Nach einer Viertelstunde stand Janna auf dem Plateau. Während der letzten zehn Minuten ihres Aufstiegs hatte sie keine Schüsse mehr gehört. Ein gutes Zeichen, sagte sie sich. Ty war zu ihr unterwegs. Sie redete sich auch ein, dass alles mit ihm in Ordnung sei. Trotzdem liefen Tränen über ihr Gesicht. Ihr Körper war starr vor Angst.
Nichts an Jannas Standort auf der Hochfläche gab zu erkennen, dass in nächster Nähe ein Saumpfad in die Tiefe führte. Die lang gezogene Abflussrinne, durch die sie gestiegen war, unterschied sich in nichts von anderen Schluchten in den steilen, zerklüfteten Felsen.
Die Pferde grasten nicht weit entfernt. Sie achteten auf jedes Geräusch und auf jeden Schatten, der sich bewegte. Janna trat zu Zebra, nur getrieben von dem Gedanken an den flehenden Blick, mit dem Ty sie gebeten hatte, sich um seinetwillen zu retten, und ermahnt von der Erinnerung an seine zarten Küsse, die das Versprechen besiegelt hatten und noch auf ihren Fingerspitzen brannten. Zerrissen zwischen Angst und Kummer und Rebellion und Liebe, stieg sie auf den Rücken der Stute. Dann wartete sie und zählte die Sekunden und Minuten.
Drei Minuten waren vergangen. Fünf Minuten. Acht Minuten. Neun Minuten. Zehn.
Ich bin hier ziemlich sicher. Es schadet nicht, wenn ich ein bisschen länger warte. Die Wildpferde wittern die Gefahr, wenn sich jemand nähert, und warnen mich.
Zwölf Minuten. Eine Viertelstunde. Siebzehn Minuten.
Janna war bei achtzehn angekommen, als Zebra und Lucifer die Köpfe hoben. Beide Wildpferde wandten sich mit aufgestellten Ohren und ohne die geringsten Anzeichen von Unruhe der Ablaufrinne zu. Minuten später tauchte Ty auf und kroch über den Rand der Schlucht.
„Zehn Minuten hatte ich gesagt“, schalt er atemlos.
„Ich wusste nicht, wie ich z... zählen sollte“, stammelte Janna. Sie schwankte zwischen Weinen und Lachen und versuchte beides zu verbergen.
Er schwang sich auf Lucifer, trieb den Hengst neben Zebra und gab Janna einen leidenschaftlichen Kuss.
„Charmante Lügnerin.“
Er versetzte Zebra einen Klaps auf den Rumpf. Die Stute rannte erschrocken los. Lucifer sprang ihr nach. Beide Wildpferde fielen in einen kraftvollen Galopp. Das Hochplateau flog unter ihren Hufen dahin.
Zwei Mal hörten Janna und Ty, dass geschossen wurde, und wandten sich weiter nach Osten. Das Krachen kam aus nördlicher und westlicher Richtung. Ungefähr alle zehn Minuten ließ Janna die Pferde in einen raschen Trab zurückfallen, damit sie wieder zu Atem kamen. Ty kribbelte der Rücken, aber er beklagte sich nicht über den Zeitverlust. Möglich, dass die Pferde im nächsten Moment ein Rennen gegen die Indianer bestehen mussten. Ein ständiger Galopp würde sie zu sehr erschöpfen. Dann hätten sie von vornherein keine Chance.
Während der dritten Ruhepause trug der Wind wieder entferntes Gewehrfeuer zu ihnen herüber. Dieses Mal kam das Geräusch von Osten.
„Sollten wir...", begann Janna
Ty bedeutete ihr, leise zu sein. Er zügelte Lucifer und brachte den Hengst zum Stehen. Dann blieb er reglos auf ihm sitzen und lauschte.
„Hörst du das?“ fragte er schließlich.
„Die Gewehre?“
„Ein Signalhorn.“
Sie lauschte angestrengt. Dann wandte sie sich an Ty und wollte sagen, dass sie nichts hörte. Da frischte der Wind wieder auf, und sie vernahm den Ton ebenfalls. Er klang als an- und abschwellendes Geräusch aus weiter Feme zu ihnen.
„Jetzt höre ich etwas. Das muss aus der Ebene kommen.“
„Von welcher Stelle aus können wir am schnellsten einen Blick über den Rand des Hochplateaus werfen?“ fragte Ty.
„Der östliche Pfad beginnt nur wenige Kilometer von hier.“
Sie wendete Zebra, trieb die Stute wieder in einen Galopp und hielt erst am zerklüfteten Rand der Hochfläche, wo der abschüssige Weg begann. Lucifer stellte sich neben Zebra und blickte, tief und mühelos atmend, über das Land. Der Hengst erweckte den Eindruck, als
hätte er nur kurz bewiesen, welche Kraft in ihm steckte.
Ty spähte durch sein Fernglas und suchte die Ebene nach Menschen ab. Plötzlich verharrte er und beugte sich vor. Zehn Kilometer in nordöstlicher Richtung jagte eine kleine Kolonne berittener Soldaten durch die Ebene. Sie bewegten sich südwärts und trieben eine Hand voll Abtrünniger vor sich her. In einigem Abstand hinter der ersten Kolonne folgte noch mehr Kavallerie, zahlreicher und in deutlich langsamerem Tempo.
Ty führte das Fernglas in südliche
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