Wildes Herz
lahmte, kam er gut voran. Mit Glück würden sie den Rand der Hochfläche vor Einbruch der Nacht erreichen. Sonst mussten sie hier oben einen Schlafplatz finden. Nur im äußersten Notfall war Janna bereit, bei völliger Dunkelheit mit einem verletzten und nicht zugerittenen Mustang die Ostflanke hinunterzuklettern.
Ohne auf das stetige Pochen in ihrem Arm zu achten, lief sie durch die wilde Landschaft der Hochfläche, immer auf der Hut vor möglichen Feinden und Ausschau haltend nach dem leichtesten und schnellsten Weg nach Osten. Sie nutzte jede Deckung, die sich bot, versuchte aber nicht, sich unsichtbar zu machen. Wichtiger war, dass Lucifer und Ty vor Einbruch der Dunkelheit die Ostkante des Plateaus erreichten und sie selbst keine Spuren hinterließ.
Der Tag schritt voran. Janna schwärmte in immer größeren Bögen aus und achtete kaum noch auf Ty und Lucifer. Falls sie nicht zurückkam, bevor die beiden die Ostkante erreichten, waren sie und Ty übereingekommen, dass er allein mit Lucifer über die steile Flanke absteigen und sich dann auf den Weg zu ihrem geheimen Tal machen sollte. Ty würde nur ungern rasten, schon gar nicht eine ganze Nacht. Er wusste, sobald Lucifer nicht mehr in Bewegung war, würden seine Muskeln und Gelenke steif werden.
Es war später Nachmittag. Janna hatte den letzten hohen Bergrücken vor der Ostflanke des Plateaus erreicht. Auf dem Grat standen zwei große Pinonkiefern. In spitzem Winkel näherte sie sich den Bäumen. Von hier oben würde sie das Plateau in einem Umkreis von mehreren hundert Quadratkilometern überblicken können; auch die Ostflanke und ein Teil der sich darunter erstreckenden Ebene waren zu sehen. Sie hoffte, nur bekannte Dinge zu finden - Nadelbäume, Gras, Himmel, schwarze Lavaströme, die sich über zerklüftete Abhänge ins Tal wälzten; grasende Wildpferde. Auf keinen Fall hoffte sie, Hinweise auf die Anwesenheit von Menschen zu entdecken.
Kurz vor der Kammlinie legte sich Janna auf den Bauch und robbte weiter, bis sie über die Kante ins Tal blicken konnte, ohne von jemandem gesehen zu werden, der vielleicht auf der anderen Seite lauerte. Als Erstes sah sie einen Habicht, der seine Kreise unter ihr zog. Dann entdeckte sie Zebra. Die Stute graste mit anderen weiblichen Tieren aus Lucifers Herde.
Janna formte die Hände um den Mund. Ein Habichtschrei löste sich. Zebra hob den Kopf. Sie stellte die Ohren auf, und ihre Nüstern bebten. Ein Habicht schwang sich in die Luft und beantwortete scharf Jannas Ruf. Zebra wandte dem Vogel nicht einmal den Kopf zu. Wieder kam Jannas klagender Schrei. Zebra fuhr herum und trabte sofort zur Kammlinie. Dabei wieherte sie freudig erregt.
„Hallo, mein Mädchen“, sagte Janna. Sie stand auf, ebenso erfreut wie die Stute. „Du bist die Antwort auf meine Gebete. Als hättest du gewusst, dass ich dich brauche! Jetzt kann ich das Dreifache an Fläche absuchen und muss mir keine Gedanken mehr wegen der Spuren machen. “
Zebra wieherte und nieste, stupste Janna mit dem Kopf und stieß sie beinahe um.
„Ich hoffe, du bist so munter, wie du aussiehst, und hast richtig Lust zu laufen. Denn das müssen wir jetzt. Halt still, Mädchen. Mein Arm ist steif wie ein Brett.“
Janna schwang sich mit wenig Anmut auf die Stute, aber das war unwichtig. Hauptsache, sie landete mit der richtigen Seite nach oben.
„Lauf zu, mein Mädchen. Lass uns nach deinem Herrn und Gebieter sehen.“
Janna presste die Fersen in Zebras Flanken. Die Stute lief willig los und fiel in einen leichten Galopp, der den Abstand zwischen Ty und Janna schnell zusammenschmelzen ließ. Um auf dem Rückweg möglichst viel Gelände auskundschaften zu können, ließ Janna das Pferd einen weiten Bogen laufen. Zebra rannte über das weite Land, Baumschatten und pralle Sonne wechselten miteinander ab; über Pferd und Reiterin ergoss sich ein Kaleidoskop aus Licht und Dunkelheit, während der Boden unter den Hufen der Stute dahinflog.
Wenige Minuten von der Stelle entfernt, wo sie Ty verlassen hatte, sah Janna die Abtrünnigen.
29. Kapitel
Zebra sprang zur Seite und fiel sofort in einen gestreckten Galopp. Janna unternahm keinen Versuch, das Pferd zu zügeln oder in die Richtung zurückzulenken, wo Ty sich befand. Sie griff mit beiden Händen in die fliegende schwarze Mähne, beugte sich über den Hals der Stute und drängte sie, noch schneller zu laufen. Hinter ihnen wurden Rufe der Indianer laut. Die Abtrünnigen feuerten einige Gewehrschüsse ab und
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