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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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ihn niemand für seine Taten verantwortlich machen. Und nach dem, was er erlitten hat, wird er sich nicht mit dem als Rache zufriedengeben, was er an mir versucht hat, abgesehen davon, dass er dazu nicht mehr in der Lage ist.“
    „Wir wissen nicht, ob er nicht wirklich verrückt geworden ist.“
    „Wir wissen es nicht.“
    Die Worte hingen im stickigen Raum.
    Ein Schüttelfrost durchlief ihren Körper. „Ich glaube, ich sollte noch mal versuchen zu schlafen. In meinem Kopf geht es zu, als ... hätte sich darin der Donner verfangen.“
    „Ich lasse die Tür angelehnt.“
    Er ging zu den drei Anderen, die sich berieten, wie sie das Haus absichern könnten. Mit Äxten und Sägen machten sie sich daran, Äste und dünne Stämme zu Palisaden zu verarbeiten. Laura arbeitete fahrig, Jenny eisern. Nach und nach leuchtete der Dunst heller und wich schließlich einem strahlend blauen Himmel.
    Sie frühstückten. Anna blieb liegen und weigerte sich zu essen, Greg ließ sich problemlos füttern. Seine Augen zuckten nur noch gelegentlich und er hatte aufgehört, vor sich hinzubrabbeln. Meist lag er unbeweglich, den Blick ins Nichts gerichtet.
    Zurück an der Arbeit zimmerten sie ein Gestell und verengten die Treppe mit den Palisaden, so dass nur ein enger Kriechgang frei blieb. Auch dafür konstruierten sie einen Verschluss. Anschließend brachen sie Dielen aus dem Salon und reihten sie hinter dem Balkongeländer zu einer Brustwehr auf.
    Zu Mittag brachte Jan Anna Kekse und eine heiße Milch mit Honig. Sie blickte angewidert. „Ich kann noch nichts essen.“
    „Es ist nicht viel, der Appetit kommt –“
    „Bring es raus!“ Sie drehte den Kopf weg.
    „Nein, Anna. Du musst dich stärken.“
    Sie nahm einen Keks, musterte ihn auf Armlänge und legte ihn zurück in die Schale.
    „Was macht dein Kopf?“
    „Etwas besser.“
    Er musterte sie eindringlich. Sie schien die Wahrheit zu sagen: Das Besessene war aus ihren Zügen gewichen, sie sah einfach nur bleich und übermüdet aus. Ihm selbst fielen fast die Augen zu. „Ich muss weiterarbeiten“, sagte er.
    „Gib mir noch ein paar Minuten“, bat sie und zog seine Hand wie ein Kopfkissen unter ihre Wange.
    Am Nachmittag rodeten sie das Bäumchen vor Annas Fenster. Zur zusätzlichen Absicherung zertrümmerten sie leere Flaschen und verstreuten die Scherben rund ums Haus. Daraufhin trugen sie die Reste des vom Blitz zerschmetterten Baumes und anderes Bruchholz zu acht länglichen Haufen zusammen, in einem Kreis von zehn Metern ums Haus als Wachfeuer angeordnet. Um gegen einen Brand gewappnet zu sein, stellten sie einen Trog ins Jungenzimmer, einen großen, mit einer Plane ausgelegten Korb ins Mädchenzimmer, befüllten beide mit Wasser und warfen Decken hinein.
    Erschöpft ruhten sie sich auf dem Balkon aus. Jan verschränkte die Arme über der Brustwehr, legte sein Kinn darauf ab und ließ den Blick dahingleiten. „Wie friedlich die Abendsonne auf dem Tal liegt.“
    Michael antwortete lapidar: „Wir brauchen Schießscharten.“
    „Würdest du überhaupt irgendwas treffen?“, fragte Laura.
    „Das sollten wir ausprobieren.“ Er zerschnitt eine helle Decke in vier Teile, befestigte sie mit Stöckchen auf der Wiese und kehrte auf den Balkon zurück. Von seinen fünf Versuchen traf er nur einen. Unzufrieden reichte er das Gewehr weiter.
    Jan lächelte gequält, nachdem er sämtliche Schüsse danebengesetzt hatte, und hielt das Gewehr Laura hin, doch die wollte nicht schießen. Jenny griff zu – und traf dreimal. Laura brachte ihr erstes Lächeln des Tages zustande. „Zur Strafe musst du das Ding jetzt rumschleppen.“
    Sie blickten still in die Abenddämmerung hinaus. Hier oben fühlten sie sich weniger gefährdet. Um zu ihnen zu gelangen, müsste der Feind ins Haus eindringen und die Absperrung der Treppe überwinden. Sie würden ihn rechtzeitig hören und sich wehren können.
    Einmal schreckte sie ein Elch auf, der behäbig auf ihrer Wiese graste. Sein Geweih weitete sich zu mächtigen Hornplatten, die zu Spitzen unterschiedlicher Länge ausliefen. Langsam näherte er sich dem Haus. Unter seiner Schnauze wuchs eine Art Bart, der über den Boden schlabberte, wenn er den Kopf senkte. Nach einigen Minuten trottete er zurück ins Gehölz.
    Als der Wald im Schatten verschwamm, stellte sich Jenny mit dem Gewehr auf dem Balkon auf und Laura beobachtete aus Annas Zimmer die Rückseite, während Michael und Jan je einen kleinen Kanister Spiritus nahmen, den Durchgang in der

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