Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
durch das nächtliche Hügelland. Jan störte, dass er ständig der Bedenkenträger war, während Ralph und Anna sich auf der gleichen Wellenlänge befanden. Ängstlich sah er aus und auch ein bisschen dumm, indem er sich alles erklären ließ. Dennoch wollte er Ralphs Entscheidungen nicht still hinnehmen.
Die vereisten Strommasten am Straßenrand wurden von den Scheinwerfern erfasst und grell gegen die Finsternis abgesetzt, ehe sie an seinem Fenster vorbeiflogen.
Jan befreite sich von der hypnotischen Monotonie und wandte sich Anna zu. „Der Strip-Club war heftig. Mir flattern immer noch die Nerven. Wie geht es dir damit?“
„ Diesmal kriegen wir ihn.“ Sie starrte weiter geradeaus.
Er schaute wieder aus dem Fenster: Schneeverwehungen, verschneite Bäume, vereiste Strommasten.
Ein Schild leuchtete im Scheinwerferlicht auf: „Zutritt für Unbefugte verboten! Das Betreten des Minengeländes ist lebensgefährlich! Jede Zuwiderhandlung wird zur Anzeige gebracht!“ Jan wurde mulmig. Er vermutete hinter Verboten immer eine wohlmeinende Autorität, die ihn schützte. Als wolle das Schild sie nicht nur von den natürlichen Gefahren einer Mine, sondern auch von der Falle des Mörders abhalten.
Die Straße führte in eine leichte Linkskurve, rechts öffnete sich ein Abgrund. Eine Weile folgte sie dem Rand dieses schwarzen Loches, dann sank sie hinab, entlang einer Wand, an der die Eiszapfen dicht wie Bärte wuchsen. Eine Stufe tiefer, auf ebenem Terrain, entfernte sie sich vom Fels, bis die nächste Abfahrt ansetzte.
Jan legte die Hände ans kalte Seitenfenster und schirmte die Augen vom Licht der Scheinwerfer ab. Das Loch erstreckte sich über Kilometer. Es war in riesigen Treppenstufen von dreißig, vierzig Metern in die Tiefe gegraben.
Nach der fünften Stufe erreichten sie den Talboden. Vor ihnen strahlte etwas orange-schwarz Gestreiftes auf. Es stand auf Rädern, die ihren Pick-up überragten. Für einen Sekundenbruchteil füllte die gezackte Walze des Monstrums das Fenster an seiner Seite aus. Jan stellte sich vor, dass es sich in Bewegung setzen und sie zerquetschen könnte. Nur zu gerne hätte er in der Mitte gesessen.
Er durfte sich von der Minenlandschaft nicht verunsichern lassen. Niemand würde fünf Wagen voller schwerbewaffneter FBI-Agenten und Polizisten angreifen. Erst recht nicht der Mörder, der Anna lebend wollte.
Die Pick-ups verlangsamten und schalteten die Lichter ab. Während sich Jans Augen an die Dunkelheit gewöhnten, wurden mehr und mehr Formen sichtbar. Gebäude, am Boden und auf Stelzen, Rohre und Förderbänder, die auf Stützen zu gigantischen Schaufelrädern anstiegen, Türme, deren Spitzen in der Dunkelheit verschwammen. Zwischen all dieser Verlassenheit zog sich ihre geräumte Spur dahin, halb Versprechen, halb Drohung – bis sie unvermittelt an einem Schneepflug endete.
Die Wagen hielten. Jan fühlte sich gefangen. Könnten sie überhaupt wenden? Was, wenn eines der Bergwerksfahrzeuge den Fluchtweg blockierte?
„ Wir gehen in das Gebäude dort drüben.“ Ralph zeigte schräg nach vorne.
Tom wiegte unschlüssig den Kopf. „Sollen wir Anna und Jan nicht besser im Auto lassen und eine Vorhut losschicken?“
„ Ich will die Gruppe nicht trennen. Und wir sollten Anna und Jan nicht auf einem Präsentierteller lassen, nicht einmal einem gepanzerten. Das Gebäude ist im Notfall leichter zu verteidigen.“ Ralph nahm das Funkgerät. „Wir gehen alle gemeinsam in das große Gebäude. Die Leiche suchen wir, nachdem wir dort einen sicheren Platz gefunden haben.“
Sie schlossen ihre Anoraks und zogen sich die Soft-Shell-Masken übers Gesicht. Als Jan die Tür aufstieß, trieb ihm die Kälte Tränen in die Augen. Die Agenten trugen Nachtsichtgeräte, die sie wie Aliens aussehen ließen.
Etliche Meter über ihnen kreuzte eine Stelzbrücke die Spur. Sie führte zu einem wirren Bau, der Jan an eine im Laufe der Jahrhunderte gewachsene Burg oder an das Innenleben eines Motors erinnerte. Darüber waberten die blauen Schleier des Nordlichts.
Ein Agent meldete vom Schneepflug, dass Fußstapfen zum Gebäude abgingen. Sie folgten diesen im Gänsemarsch durch den tiefen Schnee.
Ein grüner Strahl blitzte von einem Gewehr auf, andere huschten zum gleichen Fenster auf der Suche nach einem Ziel. Eiszapfen am Fenstersims reflektierten das Licht.
„ Nichts!“, rief einer der Agenten. „Habe mich getäuscht.“
Die Laser-Pointer erloschen wieder.
„ Der Sarkophag!“, rief eine
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