Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
»Pass doch auf.«
» ’t schuldige.«
»Warum hast du deine Brille an?«
»Als Glücksbringer.«
»Bringt sie auch noch Glück, wenn du sie auf der Stirn trägst statt über den Augen?«
»Vielleicht.«
»Probier’s doch mal aus.«
»Ist gut.«
Sie liefen die stille Treppe hinunter und erreichten bald die Bürotür. Martha behielt den langen Korridor im Blick, während Rachel den Schlüssel aus der Overalltasche holte und ins Loch steckte. Mit einem leisen Klicken schnappte das Schloss auf. Martha hörte es und sah zu, wie Rachel langsam die Tür öffnete. Die Scharniere gaben ein leises Knarren von sich. Von drinnen fiel ein trüber Schein heraus und warf eine lange, schmale Lichtsäule auf das Schachbrettmuster des Flurbodens. Rachel steckte den Kopf ins Zimmer und holte hörbar tief Luft.
»Was?« Martha reckte den Kopf über Rachels Schulter, um etwas zu erkennen.
»Was ist das alles?«, krächzte Rachel unwillkürlich.
»Was denn? Ich kann nichts sehen!«, raunte Martha.
Rachel stieß die Tür weiter auf und Martha spähte hindurch. Der Anblick war verblüffend. Es war ein großer Raum, groß genug für einen massiven Holzschreibtisch und ihm gegenüber zwei Ledersessel. Die Tischplatte war übersät von Papierstapeln und Glasfläschchen, wie es aussah. Das Auffallende an dem Zimmer war aber, dass überall an den Wänden hohe Regale standen, in denen sich ein wildes Sammelsurium von Flaschen, Gläsern und Töpfen befand. Das Ganze erinnerte Martha an die Giftküche eines Zauberers oder eine alte chinesische Apotheke. Es gab allerdings einen Regalabschnitt, in dem keine Ampullen und Tiegel aufbewahrt wurden, sondern etwa drei Dutzend weiße Metallkästchen. An jedem dieser Kästchen blinkte in Abständen ein kleines rotes Licht, aber nicht alle im gleichen Rhythmus, sodass es aussah wie eine durchgedrehte Weihnachtsdekoration.
Mitten im Raum, genau vor dem Regal mit den Metallkkästchen, stand etwas, das aussah wie ein Zahnarztstuhl aus einem längst vergangenen Jahrhundert. Das imposante Sitzmöbel bestand aus diversen steif aussehenden weißen Kissen, die von einem schwarzen Metallrahmen zusammengehalten wurden. Auf den Armlehnen waren eiserne Handschellen befestigt, unheilvoll geöffnet, und zwei ähnliche Spangen befanden sich an den Fußstützen. Es machte den Eindruck, als hätte der Zahnarzt, der diesen Stuhl früher benutzte, seine Patienten mit Gewalt fixieren müssen. Vor Schreck zog Martha ihre Schutzbrille wieder über die Augen.
»Oh … mein … Gott«, hauchte sie.
Rachel schwieg. Wortlos waren sich die Mädchen einig: Wie viel Furcht einflößendes Zeug auch immer in Joffrey Unthanks Büro gestopft war, einer fehlte ganz offensichtlich: Carl Rehnquist.
Rachel bedeutete Martha, dass die Luft rein war, und die zwei gingen ins Büro und schlossen leise die Tür hinter sich. Das einzige Licht im Raum stammte von einer trüben Schreibtischlampe. Martha stellte sich vor die drei Fenster hinter dem Tisch: Darunter lag die jetzt leere Fabrikhalle. Rachel sah auf die Uhr. »Wir haben zehn Minuten.«
Der Schreibtisch erinnerte an den eines Schulrektors: Er war grün und aus poliertem Metall. Versonnen nahm Martha ein Fläschchen nach dem anderen in die Hand und blickte in die Öffnungen, aber sie waren alle leer. Dann erregte ein Papierstapel in der Mitte ihre Aufmerksamkeit, offenbar eine Landkartensammlung. Sie blätterte durch den Haufen. Die Karten schienen aus unterschiedlichen Zeiten zu stammen, manche sahen uralt aus, das Papier war vergilbt und die Kanten stockfleckig. Andere wiederum wirkten wie aktuelle topografische Karten mit fein gezeichneten Höhenlinien. Keinen der Orte, die dort dargestellt waren, erkannte Martha. Bei einem handelte es sich offenbar um einen breiten Kontinent – vielleicht Europa? – mit einer Bergkette, die einen zentralen Gipfel im Südosten umgab. Eine andere Abbildung zeigte eine lange Halbinsel, deren Grenze im Norden von einem Felskamm markiert wurde. Bahngleise, die die steile Steinwand durchschnitten, schienen die einzige Verbindung dieses seltsamen Landes mit seinen Nachbarn zu sein. Dann fiel Martha eine Karte ins Auge, deren Ecke deutlich unten aus dem Stapel ragte. Sie zog sie heraus und stellte fest, dass es eine ältere Karte war, datiert auf den 24 . 2 . ’75, und die Überschrift »Undurchdringliche Wildnis (unbestätigte Skizze)« trug. Was sie erkannte, war eine sorgfältige Zeichnung der Straßenzüge von St. Johns am Rande der
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