Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
durch einen Schneesturm marschieren, um mit einem Baum zu sprechen.«
»So ist es.«
»Ich komme mit«, sagte Curtis.
Gemeinsam liefen sie schnell über die unterschiedlichen Stege und Brücken des Räuberlagers zum Fuß der Steilwand, an der sie sich bei ihrer Ankunft abgeseilt hatten. Zwei Seile hingen von der oberen Kante herab, deren Enden zusammengerollt waren. Curtis und Prue halfen einander, sich ins Klettergeschirr einzuhaken. Oben angekommen wurden sie von einer vertrauten Stimme begrüßt.
»Wie läuft’s, Kinders?«, fragte die Ratte Septimus, die etwa auf Augenhöhe auf einem Ast stand. Sie stocherte sich mit einem dürren Zweig zwischen den Zähnen.
»Bist du jetzt erst aus dem Norden zurückgekommen?«, fragte Curtis etwas atemlos nach dem Aufstieg.
Die Ratte nickte. »Fliegen ist eine unnatürliche Fortbewegungsart für meine Spezies. Außerdem war es ein netter Spaziergang. Hab unterwegs einen kleinen Umweg gemacht, ein paar Leuten geholfen, ein paar gute Taten getan. Ich gehe dahin, wo ich am meisten gebraucht werde.« Er warf sich etwas in die Brust, dann fiel sein Blick auf Prues Rucksack. »Wo wollt ihr denn hin?«
»Zurück nach Nordwald«, sagte Curtis.
»Zurück?« Septimus stöhnte. »Solltest du dich nicht eigentlich verstecken?« Er deutete mit seinem Zweig auf Prue.
»Ich lass es drauf ankommen.«
»Weiß Brendan das?«, fragte die Ratte.
»Nein«, sagte Curtis. »Und so soll es auch bleiben.«
Septimus steckte sich den Zweig wieder in die Schnauze und kaute nachdenklich darauf herum. »Tja«, meinte er. »Im Geheimnisse-für-mich-Behalten bin ich nicht so gut. Deshalb sollte ich wohl besser mitkommen. Außerdem möchte ich nicht in der Nähe sein, wenn Brendan dahinterkommt. Der Mann kann ganz schön aufbrausend sein.« Flink hüpfte Septimus von seinem Ast und landete mitten auf Curtis ’ Schulter. »Vorwärts!«, rief er, den Zweig gen Norden gerichtet wie einen Säbel.
Also machte sich das Trio auf den Weg durch das Scheinbeerengebüsch. Ihre Füße knirschten leise auf der dünnen Schneeschicht. Es war so kalt, dass sie ihren eigenen Atem sehen konnten, aber durch die Bewegung wurde ihnen warm. Sie wanderten schweigend. Prue war noch damit beschäftigt, die seltsamen Botschaften zu entwirren, die sie empfangen hatte, als die Bäume zu schreien begannen und die Welt unter ihr wegzusacken schien. Trotz der Möglichkeit, dass sie ihr Leben – und das ihrer Freunde – in Gefahr brachte, war der Drang, nach Nordwald zurückzukehren, einfach zu stark gewesen. Sie konnte nur auf ihre Intuition vertrauen. Hin und wieder lauschte sie auf die Geräusche des Waldes – das Plaudern der Flora –, hörte aber zu ihrem Kummer immer noch nur die wortlosen Laute ihrer scheinbar undurchschaubaren Sprache.
Schließlich ertönte eine Stimme, die sie verstand. »Warum genau gehen wir jetzt eigentlich nach Nordwald?« Es war Septimus. Eigentlich war es ja ein Wunder, dass er überhaupt so lange den Mund gehalten hatte.
»Ein Ruf«, antwortete Prue kryptisch. Tatsächlich war es die beste Erklärung, die sie aufbringen konnte.
»Aha«, sagte Septimus. »So was wie ein Telefonanruf?«
Prue überlegte kurz. »Etwas in der Art. Aber in meiner Seele.«
»Cool«, sagte die Ratte. »Ein Seelentelefon.«
Der Himmel hatte sich verdunkelt, und als sie einen steilen Abhang hinaufkletterten, begann es zu schneien. Für Prue sah es aus wie Funken aus reinstem Weiß, die von den Baumwipfeln herabsegelten. Die Flocken landeten auf ihren Wangen und schmolzen dort. Sie zog sich die dunkelgrüne Strickmütze, die sie bei ihrer Ankunft von einem Räuber geschenkt bekommen hatte, tief ins Gesicht. Als sie wieder ebenen Boden erreichten, blieb sie stehen. »Meiner Ansicht nach sollten wir uns besser im Wald halten. Auf der Straße werden wir leichter entdeckt, oder?« Argwöhnisch blickte sie sich um. »Aber in welche Richtung müssen wir?«
»Moment«, sagte Curtis. »Lass mal den Einheimischen ran.« Stolz marschierte er an Prue vorbei und schlitterte den nächsten Hang hinunter. Sie folgte ihm, und im Nu hatte Curtis ein dichtes Dornengestrüpp beiseitegeschoben und einen schmalen Pfad enthüllt, der durch den Farn führte. »In › Wildwald-Geografie‹ hatte ich im letzten Quartal eine Eins mit Stern«, sagte er grinsend.
Leise folgten sie dem Pfad, die Kinder auf dem Boden, Septimus in den Baumkronen, um den Weg vor ihnen auszukundschaften. Sie liefen schon mehrere Stunden, als Prue und Curtis
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