Wildwood
Ferne ein Schuss abgefeuert worden. Prue wusste nicht, ob es ein in einem Baum postierter Kojotenscharfschütze gewesen war oder vielleicht ein Querschläger von einem Freischärlerkameraden. Aber das Ziel war umso deutlicher zu erkennen: Brendans Kopf schnellte zurück, und mit einem gequälten Aufschrei kippte er nach hinten. Auf der Schulter seiner Offiziersjacke breitete sich ein blutiger Fleck aus.
Als sie sahen, wie der Räuberkönig getroffen zu Boden taumelte, hielten sowohl Freischärler als auch Kojoten für einen Moment in ihrem Kampf inne. Die Räuber brüllten vor Zorn und Verzweiflung, doch schon fiel die nächste Schar über sie her und sie stürzten sich mit neuer Verbissenheit in die Schlacht. Brendan lag allein in den zertrampelten Efeuranken der Lichtung, die Finger um seine Schulter geklammert.
»Nein!«, schrie Prue und rannte ohne nachzudenken die Marmorstufen hinunter, mitten in die Soldatenhorde hinein.
Es gelang ihr, relativ unbemerkt durch das wilde Durcheinander zu schlüpfen. Ein Kojote, der gerade seinen Gegner erledigt hatte,
entdeckte sie und wollte sie schon abfangen, wurde aber prompt von einem Freischärler – einem Wiesel im Arbeitsoverall – daran gehindert, indem ihm dieser die Eisenkante einer Schaufel vor die Nase hielt und ihn in ein heftiges Handgemenge verwickelte. Als sie zwischen zwei kämpfenden Soldaten hindurchschlüpfte, bemerkte sie ein weiterer Kojote und zielte mit dem langen Lauf seines Gewehrs auf sie; da surrte ein Pfeil in seine Brust und er stürzte winselnd zu Boden.
Brendan kroch hilflos über die efeubewachsenen Steine, als Prue schließlich bei ihm ankam. Er war nicht sehr weit gekommen; hinter ihm zeigten die grünen Blätter eine mit seinem Blut gesprenkelte Spur.
»Brendan«, rief sie und streckte die Hand nach seinem Arm aus.
Er wandte ihr das Gesicht zu. Seine Augen waren glasig, der Bart voller Staub, Schweiß und Blut. Seine Jacke war inzwischen ganz durchweicht, und seine normalerweise gesunde Farbe schwand allmählich aus seinem Gesicht.
»Außenweltkind«, krächzte er und verzog die aufgesprungenen Lippen zu einem trockenen Lächeln. »Liebes Mädchen.« Er schielte nach der Wunde in seiner Schulter und spuckte wütend aus. »Fünfzehn Generationen von Räubern«, keuchte er. »Fünfzehn Könige. Und ich werde von einer verfluchten Kugel zu Fall gebracht.« Er sah Prue an. »Ich will nicht sterben«, sagte er dann mit weicher und ruhigerer Miene. »Ich möchte hier bleiben. Hilf mir, hier zu bleiben.«
Mit tränenüberströmtem Gesicht zog Prue ihren Kapuzenpulli aus und drückten ihn auf die Wunde. Sofort färbte sich der grüne Baumwollstoff braun, als er sich mit Blut vollsaugte.
»Du wirst wieder gesund, König«, beteuerte Prue. »Wir müssen nur diese Blutung stoppen.«
Verzweifelt suchte Prue die Menge hinter sich nach einem Räuber ab, der ihr vielleicht helfen könnte; ihre Kenntnisse in Erster Hilfe waren kläglich gering. »Hilfe!«, schrie sie. »Der König! Er wurde angeschossen!«
Plötzlich fiel ein langer Schatten auf sie und Brendan. Prue blinzelte nach oben: Alexandra ragte im Sattel ihres wild aufgebäumten Hengstes turmhoch vor ihr auf. Sie hatte das Schwert gezückt und reckte es über den Kopf, die Klinge feucht von Blut. Das Kind in ihrer Satteltasche weinte.
»Deine Zeit ist abgelaufen, Räuberkönig«, sagte sie. »In Wildwald hat eine neue Ära begonnen.«
Ohne ein weiteres Wort trat sie ihrem Pferd in die Flanken, übersprang die beiden, Prue und Brendan, in einem einzigen Satz und galoppierte auf die unbewachten Marmorstufen zu, die zur obersten Ebene der zerstörten Basilika führten.
SIEBENUNDZWANZIG
Der Efeu und der Sockel
D ie angeschlagenen und abgekämpften Reste von Sterlings Truppe wurden ohne allzu großen Widerstand den Hügel hinunter und von der Basilika fort getrieben, obwohl viele von ihnen auch weiterhin planlos Schüsse in die Menge ihrer Kojotenverfolger abgaben. Auf einem breiten Granitvorsprung fanden die überlebenden Freischärler schließlich Deckung. Hier stand die Ruine eines umgestürzten Turms; nur das Fundament war noch übrig. Als Curtis auf diese Zuflucht zurannte und sich gerade unter einer neuen Gewehrsalve duckte, sah er Sterling winken.
»Komm schon!«, rief der Fuchs. »Schnell!«
In Windeseile raste Curtis die kaputte Treppe hinauf und warf sich auf den Steinboden des Vorsprungs. Um die Kante herum verlief eine niedrige Mauer, der spärliche Überrest des uralten
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