Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
Vom Netzwerk:
der Natur zu fassen und zu bündeln, könnte ich dem Wald gleichsam eine Ordnung aus der Unordnung bringen und das Land regieren, wie es immer vorgesehen war, regiert zu werden.«
    »Ich bin nicht ganz sicher, ob ich Ihnen noch folgen kann«, gestand Curtis.
    Die Gouverneurin lachte. »Zu gegebener Zeit«, sagte sie, »zu gegebener Zeit wird alles klar werden.« Sie sah Curtis erneut an, und ihre Augen waren hell und durchdringend. »Ich brauche Leute wie dich, Curtis, an meiner Seite. Kann ich auf dich zählen?«
    Curtis schluckte. »Ich denke schon.«
    Alexandras Lächeln wurde wehmütig, ihr Blick verweilte auf Curtis’ Gesicht. »So ein Junge«, sagte sie leise, als spräche sie mit sich selbst. »Ist das ein Zufall, diese Ähnlichkeit?«
    »Wie bitte?« Curtis’ Verwirrung steigerte sich noch.
    Die Gouverneurin blinzelte mehrmals rasch und runzelte die Stirn. »Aber wir vergeuden hier nur Zeit! An die Front!« Und damit trieb sie dem Pferd die Fersen in die Flanken, sodass es einen Satz nach vorn machte, in die Schlucht hinab sprang und auf der anderen Seite wieder hinauf galoppierte. Curtis klammerte seine Hände fest um Alexandras Taille und biss die Zähne zusammen.

    Sie waren bereits fast eine Stunde unterwegs, als sie eine kleine Lichtung auf einem Hügel erreichten. Dort hatte sich ein Trupp Kojotensoldaten versammelt, und ein kleines Zeltdorf war in Kreisform errichtet worden. Sobald Alexandra und Curtis in Sichtweite kamen, rannte einer der Soldaten zu ihnen und übernahm die Zügel, sodass die Gouverneurin auf den Boden springen konnte. Da offensichtlich niemand auf die Idee kam, Curtis zu helfen, wäre er beinahe vom Pferd gestürzt, als er ein Bein über dessen Rumpf warf und unbeholfen herunterrutschte.
    »Das Bataillon steht bereit, Frau Gouverneurin«, meldete ein Soldat und salutierte ihnen beiden. »Wartet auf weitere Anweisungen.«
    »Irgendetwas von den Räubern zu sehen?«, fragte Alexandra, während sie sich einen Gürtel um die Taille knotete, den ihr ein Soldat gereicht hatte und an dem ein langes schmales Schwert in einer Scheide hing. Dazu bekam sie auch noch ein altes Gewehr, das sie an die Schulter hob, um in den Lauf zu spähen und das Visier zu überprüfen.
    »Jawohl, Frau Gouverneurin«, antwortete der Kojote. »Sie gruppieren sich auf der gegenüberliegenden Kammlinie.«
    Alexandra ließ das Gewehr sinken und lächelte. »Dann wollen wir diesen Rüpeln mal das wahre Gesetz von Wildwald zeigen.«
    Unterdessen verharrte Curtis, noch ziemlich benommen und durchgerüttelt von dem Ritt, neben dem Pferd. Jetzt schreckte er
aus seinen Gedanken und bemerkte, dass einer der Kojotensoldaten immer noch salutierend vor ihm stand. »Rühren«, sagte Curtis, ein Kommando, das er aus zahllosen Kriegsfilmen kannte. Zufrieden zog der Soldat ab und hinterließ einen verzückt grinsenden Curtis. »Rühren«, wiederholte er im Flüsterton.
    »Curtis!«, rief die Gouverneurin aus einem Kreis von Soldaten. »Bleib bei mir!«
    Mit der Hand auf dem Säbelknauf trabte Curtis zu Alexandra hinüber.

    Das Zimmer war einfach und schlicht, und da es der einzige Raum im obersten Stockwerk des Nordturms der Villa war, hatte es die Form eines Halbkreises. Die ziemlich trist tapezierten Wände wurden von ein paar gerahmten Radierungen geschmückt. Eine davon zeigte einen Rahsegler mit aus dem Wasser ragendem Kiel, der in einem wilden Sturm einen gewaltigen Felsen umschiffte. Auf einer anderen war eine ländliche Szene auf einer Lichtung zu sehen, in deren Mitte ein riesiger Baum aufragte, neben dem seine Umgebung zwergenhaft wirkte. Kreisförmig um den Stamm herum standen Gestalten, deren Köpfe kaum höher als bis zu den freiliegenden Wurzeln des Baums reichten. Prue betrachtete diese Bilder eine Zeit lang und bewunderte die Strichführung, bis sie schließlich von einer heftigen Müdigkeit übermannt wurde und sich auf das Bett warf. Die Matratzenfedern gaben ein klagendes Quietschen von sich. Prue
schnappte sich das Kissen, drückte es sich vors Gesicht und sog den modrigen Duft ein. Bis zu diesem Moment war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie müde sie war. Noch ehe sie weiter nachdenken konnte, sank sie in einen tiefen Schlaf.
    Als sie erwachte, hielt sie das Geräusch, das sie geweckt hatte, zunächst für einen gewaltigen, lang anhaltenden Windstoß, den plötzlichen Ausbruch eines Sommergewitters. Doch dann stellte sie fest, dass es sich stattdessen um das Rauschen hunderter Flügel handelte. »Die

Weitere Kostenlose Bücher