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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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Dreiklassenwahlrecht gewählt, das die Grundbesitzer massiv begünstigte und so die Vorherrschaft konservativer und rechtsliberaler Kräfte gewährleistete. Da Entwicklungen in Preußen die Haltung der Parteien im Reichstag beeinflussen konnten und umgekehrt, fiel dem Kanzler die schwierige Aufgabe zu, die Prioritäten der sehr verschiedenen Legislativen auszubalancieren.
    Von 1871 bis 1890 hatte mit Otto von Bismarck-Schönhausen eine überragende Persönlichkeit den Vorsitz über dieses einzigartig komplexe, politische System. Die Wurzeln für Bismarcks dominante Stellung lagen nicht zuletzt in der wirksamen Kombination preußischer und reichsdeutscher Ämter unter seiner Kontrolle. Als Reichskanzler übte er direkte Autorität über die kaiserlichen Staatssekretäre aus; als preußischer Ministerpräsident leitete er die Debatten des preußischen Ministeriums; als preußischer Außenminister war er zuständig für die Vergabe der 17 Stimmen Preußens im Bundesrat. 5 Diese strategische Stellung entlang der Trennlinie zwischen dem Reich und seinem dominierenden Mitgliedsstaat gab den Ausschlag für seinen politischen Einfluss. Wenn man jemals seine preußischen Wurzeln ausreißen und aus ihm allein einen Reichsminister machen wolle, sagte Bismarck einmal vor dem Reichstag, dann sei er ebenso machtlos wie jeder andere. 6 An diesem Dreh- und Angelpunkt des »unvollendeten Föderalismus« Deutschlands hatte Bismarck so gut wie alle Aspekte der Regierungspolitik in Preußen und im Kaiserreich unter Kontrolle. 7
    Doch mit der Ämterhäufung allein lässt sich die auf einzigartige Weise dominierende Stellung Bismarcks im deutschen Reich nach 1871 nicht erklären. Ebenso wichtig war sein Status als Architekt der Kriege der nationalen Einigung, sein Ansehen als Außenminister mit einem beispiellosen Geschick und Urteilsvermögen, seine unerreichte Fähigkeit, innenpolitische Widersacher auszutricksen und einzuschüchtern, seine Gabe, die öffentliche Meinung zu instrumentalisieren und seine Gewandtheit im Umgang mit seinem königlichen Herrn. »Man muss dabei gewesen sein, um bezeugen zu können, welche Herrschaft dieser Mann […] über die gesamte Mitwelt ausgeübt hat«, erinnerte sich der linksliberale Politiker Ludwig Bamberger. »Es gab eine Zeit, in der man in Deutschland nicht zu sagen wagte, wie weit sein Wille reiche.« Nicht nur habe »seine Macht so bombenfest« gestanden, »dass Alles vor ihm zitterte«. Vielmehr habe er sogar »die Bahnen bestimmt, in denen sich die Institutionen, die Gesetze und, was noch wichtiger ist, die Geister bewegen«. Zeitgenossen aller politischer Couleur sprachen wahlweise von Bismarcks »Alleinherrschaft«, seinem »Absolutismus« oder der »Diktatur«, die ein »allmächtiger«, pommerscher »Jupiter« ausübte. In der Tat hat selbst Hans-Ulrich Wehler, ein Historiker, der für gewöhnlich nicht zu »personalistischen« Erklärungsansätzen neigt, das Webersche Konzept der »charismatischen Herrschaft« heraufbeschworen, um der Fülle von Autorität gerecht zu werden, die nicht auf die Herkunft des Kanzlers, die Ämter und die Werte, für die er stand, reduziert werden kann. 8 Ob dieser Begriff zu Recht auf Bismarck angewandt werden kann, ist von den Kritikern Wehlers in Frage gestellt worden, aber die außergewöhnliche, politische Macht und öffentliche Prominenz Bismarcks stehen außer Zweifel. 9
    Was bedeutete dies alles nun für den deutschen Kaiser? Mit Blick auf seine Stellung nach der streng monarchischen Verfassung Preußens und der de facto unangefochtenen Dominanz der preußischen Exekutive innerhalb des Reichs, hatte die preußischdeutsche Krone potenziell eine enorme Macht. Der Kaiser schlug eine Brücke zwischen der Reichsregierung und dem mächtigsten Bundesstaat, und zwar in einem strengeren und persönlicheren Sinn als der Kanzler, der jederzeit von seinem Amt zurücktreten konnte. Nach Artikel 18 der Verfassung war der Kaiser befugt, Reichsbeamte zu ernennen und zu entlassen; das galt nach der preußischen Verfassung auch für die einflussreiche, preußische Bürokratie. Er war Oberbefehlshaber des Heeres und der Marine im Krieg und im Frieden mit der Vollmacht, Personen zu ernennen und zu entlassen (Artikel 53 und 63). Seine Zustimmung war für die Verabschiedung preußischer und – über den Einfluss seiner Vertreter im Bundesrat – reichsdeutscher Gesetze erforderlich. Und er verfügte in der Form ziviler und militärischer Kabinette über Stabstrukturen,

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