Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
Ministern und Diplomaten gegenüber für haushoch überlegen. In der wiederholt geäußerten Überzeugung, daß die Engländer nur brutale Offenheit verstünden, unternahm er um 1908 eine Reihe von Vorstößen von solcher Taktlosigkeit, daß nicht nur Bülow sich die alptraumhafte Frage stellen mußte, ob sein Souveränüberhaupt noch bei Sinnen sei. Im Februar 1908 richtete der Monarch ohne Vorwissen des Reichskanzlers, des Außenstaatssekretärs oder des Admirals von Tirpitz einen von Hohn und Zwecklügen strotzenden Brief an Lord Tweedmouth, den Ersten Lord der Britischen Admiralität, in dem er versicherte, daß das deutsche Flottengesetz nicht gegen England gerichtet sei, der einen seiner schlimmsten Alleingänge darstellte und eine schwere internationale Krise auslöste – Maximilian Harden hielt den Brief für «viel, viel ärger als das Krüger Telegramm». Tirpitz drohte mit seinem Rücktritt und mußte mit einem Sitz im Herrenhaus beschwichtigt werden. Bülow und Staatssekretär von Schoen eilten zur britischen Botschaft, um zu erfahren, ob die Gerüchte über den Kaiserbrief der Wahrheit entsprachen. «Bülow fiel zurück in seinen Sessel, mit zurückgeworfenem Kopf und rotem Gesicht […].» Fürstin Marie Radziwill zweifelte an der geistigen Gesundheit eines Monarchen, der so selbstherrlich und verantwortungslos gehandelt hatte. «Man hat nie eine solche Unbesonnenheit gesehen, einen solchen Mangel an Takt, ein solches Vergessen der Pflichten eines Staatsoberhauptes», seufzte sie. «Ich beginne durchaus überzeugt zu sein, daß unser Herrscher krank und sein Gehirn nicht mehr in völlig normalem Zustand ist.» Doch es sollte noch schlimmer kommen.
    Am 11. August 1908 führte Wilhelm II. im Schloß Friedrichshof in Kronberg im Beisein seines Onkels Edward VII. ein Streitgespräch mit dem britischen Unterstaatssekretär Sir Charles Hardinge über den mörderischen Rüstungswettlauf der beiden Länder zur See. Auf den dringend vorgetragenen Wunsch der Engländer nach einer Verlangsamung des deutschen Flottenbautempos reagierte der Kaiser nach eigenen Angaben mit der Erklärung: «Dann werden wir fechten, denn es ist eine Frage der nationalen Ehre und Würde.» Entsetzt gewann Bülow den Eindruck, der Kaiser habe mit der Konfrontation in Kronberg eine Art «welthistorische Szene» wie die konstruieren wollen, «die sich im Juli 1870 in Ems zwischen Wilhelm I. und Benedetti abgespielt hatte».
    Während der Nordlandreise in jenem Sommer empfing WilhelmII. den amerikanischen Publizisten Dr. William Bayard Hale zu einem Interview, dessen Inhalt sich wie ein Lauffeuer von Kabinett zu Kabinett verbreitete und immensen Schaden anrichtete. Schockiert drahtete Hale die kaiserlichen Expektorationen nach New York und warnte: «Deutschland erwartet den Krieg gegen England, und nach meiner Meinung ist es dem Kaiser egal, ob heute oder morgen. Er überschüttete die Engländer zwei Stunden lang mit einem ununterbrochenen Schwall von Beleidigungen.» Wiederholt habe der Monarch betont, «daß Deutschland jeden Augenblick bereit zum Krieg gegen England sei und, je eher er käme, desto besser. Er behauptete, Großbritannien betrachte Deutschland als seinen Feind, weil es die stärkste Macht auf dem Kontinent sei und es immer die Methode Englands gewesen sei, die stärkste Macht anzugreifen. […] Großbritannien sei fortwährend degeneriert seit dem Burenkrieg, der ein Krieg gegen Gott gewesen sei, für den es noch bestraft werde.» Der Kaiser habe die Absicht zu erkennen gegeben, «Ägypten den Engländern zu nehmen und später das Heilige Land der Türkei und damit den Taten der Kreuzfahrer nachzueifern. […] Er schien ausgesprochen verbittert über seinen Onkel König Edward und klagte ihn an, die anderen Mächte gegen Deutschland aufzuwiegeln. […] Während der ganzen Unterredung lief der Kaiser auf und ab und sprach kräftig und verkündete ernst jedes Wort. […] Er schien voller Elektrizität, und mußte kurz seine Augen schließen, wenn er über England sprach, so durchdringend war seine Erbitterung.» Bülow gelang es gerade noch, die Veröffentlichung dieses Interviews zu verhindern. Wäre der Text im November 1908, also zur gleichen Zeit wie das fatale Kaiser-Interview im
Daily Telegraph
, bekannt geworden, wäre Wilhelm II. mit Sicherheit zur Abdankung gezwungen worden, so haarsträubend waren seine bezeugten Auslassungen dem Amerikaner gegenüber.
    Hinter der elementaren Wut Wilhelms auf England

Weitere Kostenlose Bücher