Wilhelm II.
«Europ[äische] Conzert» aufgenommen zu werden, und zwar «angelehnt an Oesterreich und den Dreibund!» Österreich müsse «die Bildung der ‹Vereinigten Staaten des Balkans› […] flott unterstützen», forderte er. «Denn als solche werden sich die Balkanstaaten bald in Gegensatz zu Russland stellen, und dadurch ganz von selbst auf Oesterreich angewiesen sein und damit auf den Dreibund, für den sie eine sehr erwünschte Verstärkung bilden werden, und eine Offensivflanke gegen Russland.» Als ihn am 1. Dezember 1912 während der Fuchsjagd in Donaueschingen die Nachricht von einem Bündnisangebot Bulgariens an die Türkei erreichte, sah sich Wilhelm schon als Herr eines gewaltigen Weltreiches. An diesem Tag richtete er ein wahrhaft schwindelerregendes Telegramman das Auswärtige Amt: «Österreich muß mit Turko-Bulgarien ein Militärbündnis machen und wir mithelfen, die beiden zu stärken und zu regenerieren. Griechenland und sogar Serbien werden durch dieses Mächtegewicht rettungslos an Österreich herangetrieben. So wird Österreich die Vormacht im Balkan und östlichen Mittelmeer, mit Italien gemeinsam sowie der regenerierten beziehungsweise neu zu bauenden turko-bulgarischen Flotte ein mächtiges Gegengewicht gegen England, dessen Weg nach Alexandrien bedroht werden könne. Rußland ist dann im Balkan erledigt und Odessa bedroht. Dann sind die Dreibundmächte die Präponderanten im Mittelmeer, haben die Hand auf dem Kalifen, damit auf die ganze mohammedanische Welt! (Indien).»
Des Kaisers Erwartungen wurden von den Österreichern nicht geteilt, die mit wachsender Sorge auf die Vergrößerung Serbiens blickten, und auch nicht von seinem eigenen Generalstab und der Wilhelmstraße, die in dem Spannungsverhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Serbien eine Gelegenheit erblickten, mit Rußland und seinem Bündnispartner Frankreich abzurechnen, noch ehe der Vielvölkerstaat an der Donau handlungsunfähig wurde. Noch am 9. November 1912 stemmte sich der Kaiser während der Jagd in Letzlingen gegen das Drängen seiner Militärs und der zivilen Ratgeber, den Österreichern die deutsche Unterstützung zuzusichern, falls ihr geplanter Angriff auf Serbien – wie in der Bosnischen Krise 1908/09 – den Konflikt mit Rußland (und eventuell auch Frankreich) heraufbeschwören sollte. An Kiderlen-Wächter depeschierte er, er habe dem Reichskanzler in Letzlingen «bestimmt» erklärt, daß er «unter
keinen Umständen
gegen
Paris und Moscau marschieren
werde», um den serbischen Vormarsch bis zur Adria aufzuhalten. Doch noch im Verlauf dieses Tages vollzog der Kaiser eine vollständige Kehrtwende. In der Überzeugung, daß die öffentliche Meinung in Europa den Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien als gerecht empfinden würde, billigte Wilhelm nunmehr die kriegsbereite Haltung, die ihm von Moltke, Bethmann und Kiderlen nahegelegt wurde. Am 19. November konnte der Außenstaatssekretär den Österreichern durch Wilhelms Freund Fürstenbergdie Zusicherung übermitteln, daß bei Komplikationen das Deutsche Reich «keinen Moment vor Erfüllung unserer Bündnispflichten zurückweichen» werde. Zwei Tage darauf versicherte Wilhelm dem österreichischen Militärattaché von Bienerth, «daß Österreich-Ungarn auf den Beistand des Deutschen Reiches unbedingt rechnen könne.» Er gebrauchte dabei die Wendung «Deutschlands Schwert sitze schon locker in der Scheide, auf Uns können Sie zählen». Es sei dies auch für Deutschland «ein Augenblick tiefsten Ernstes», schrieb der Monarch auf einen Bericht aus Wien. Klar erkannte er: «Es kann der Europ[äische] Krieg werden und für uns event[uel]l ein Existenzkampf mit 3 Großmächten.»
Am 22. November 1912 traf Feldmarschalleutnant Blasius Schemua, vorübergehend Conrad von Hötzendorfs Nachfolger als Chef des österreichischen Generalstabes, zu geheimen Gesprächen mit dem Kaiser und Moltke in Berlin ein. Wieder versprachen der Oberste Kriegsherr und der deutsche Generalstabschef, daß die Österreicher «absolut auf Deutschlands Unterstützung rechnen dürfen, wenn Russland uns bedroht und dass es ja auch für Deutschland ein eminentes Interesse sei, dass wir nicht geschwächt werden». Die russische Armee sei noch lange nicht kampfbereit, die Franzosen friedfertig und die Italiener willig, ihre im Dreibund übernommenen Pflichten treu zu erfüllen. Moltke setzte dem Gast aus Wien auseinander: «Der Ernst der Situation sei ihm klar. Die Mobilisierung
Weitere Kostenlose Bücher