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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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«Gleichberechtigung» in der ganzen Welt auf Dauer anzuerkennen. Wieder einmal befand sich der Kaiser in der höchst unbequemen Lage, zwischen Bethmann und dem Großadmiral zu vermitteln.
    Fieberhaft verfaßte Wilhelm eigenhändig das Dokument, das als Grundlage für die Verhandlungen dienen sollte. Voller Mißtrauen gegen Bethmann und die Wilhelmstraße wies er darauf hin, daß, während die britische Regierung ein Gremium sei, die Regierung «hier von
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– dem Kaiser – geführt werde, also der Kanzler in seinem Namen spräche» und dieser daher vorerst nichts Verbindliches abmachen könne. Er ließ es sich auch nicht nehmen, bei den entscheidenden Verhandlungen zwischen Haldane und Tirpitz die führende Rolle zu spielen. Im Kern sollten die Engländer als Gegenleistung für eine Verlangsamung im Tempo des deutschen Schlachtflottenbaus ein auf 20 Jahre gedachtespolitisches «Agreement» mit dem Kaiserreich eingehen, das England vertraglich zur Neutralität in jedwedem europäischen Krieg sowie zur Beihilfe bei dem Erwerb von Kolonien in Übersee verpflichten würde. Ein solches, auf der Grundlage einer Erpressung erzwungenes Abkommen war aber für Großbritannien völlig unannehmbar. Es hätte dem Kaiserreich freie Hand gelassen, Frankreich nach Belieben zu überfallen beziehungsweise dieses Land, nunmehr ohne den Schutz der Royal Navy, in einen Kontinentalbund mit den Mittelmächten und Rußland zu zwingen. Das Britische Empire wäre dann nicht nur in der Nordsee und im Atlantik, sondern auch im Mittelmeer, in Persien und Indien sowie im Fernen Osten bedroht.
    Als die Weigerung Englands bekannt wurde, auf die deutsche Forderung nach der bedingungslosen Neutralität in einem Kontinentalkrieg einzugehen, kannte die Bitterkeit Wilhelms II. keine Grenzen. «Meine und des Deutschen Volkes Geduld ist zu Ende», verkündete er. Mehr denn je hielt er sich seinem Kanzler und den Ministern überlegen, die den Engländern «aufgesessen» wären. «Ich hoffe, daß sich meine Diplomatie hieraus die Lehre ziehen wird, in Zukunft mehr auf ihren Herrn und seine Befehle und Wünsche zu horchen als bisher, besonders wenn es gilt, mit England Etwas zu Wege zu bringen, das sie noch nicht zu behandeln versteht; während ich es gut kenne.» Der Chef des Marinekabinetts erschrak über die «unglaublichen Grobheiten», die sich der Kaiser in seinen Depeschen an den Kanzler und den Londoner Botschafter erlaubte, und nahm an, er wolle sie beide zum Rücktritt provozieren. Tatsächlich hat Bethmann Hollweg aus Protest gegen den kriegerischen Kurs, den der Kaiser unter Ausschaltung seiner verantwortlichen Ratgeber befolgte, am 6. März 1912 sein Abschiedsgesuch eingereicht. Bethmann blieb in seinem schweren Amt und arbeitete mit der Armeeführung gemeinsam an einer Umorientierung der strategischen Planung, die, statt wie bisher den Krieg gegen die beiden Westmächte, den Krieg gegen die Landmächte Frankreich und Rußland zur Grundlage hatte. Enorme Summen sollten vom Reichstag für eine Vergrößerung der Armee auf Kosten des Tirpitzschen Schlachtflottenbaus gefordert werden. WelcheRolle Großbritannien in einem Konflikt zwischen den Mittelmächten und dem russisch-französischen Zweibund einnehmen würde, stand freilich weiterhin in den Sternen.
Die Balkanwirren und ein erster Entschluß zum Krieg (November 1912)
    Eine Verlagerung des europäischen Krisenherdes von West nach Ost entstand ohnehin durch den rapiden Verfall des Osmanischen Reiches. Die Jungtürkische Revolution, die Bosnische Annexionskrise, die Absetzung des Sultans Abdulhamid II. 1909 sowie der Übergriff der Italiener auf Tripoli 1911 hatten auch unter den kleineren Staaten auf dem Balkan Hoffnungen auf Gebietserweiterung geweckt, die Ende September 1912 mit dem Angriff Montenegros, Serbiens, Bulgariens und Griechenlands auf die Türkei zum Ausbruch des Ersten Balkankrieges führte. Wilhelm II. bejubelte den Vormarsch der Balkanländer und bespottete in charakteristischer Weise die Diplomaten, die den Frieden wiederherzustellen suchten, als «Eunuchen». «Zivilisten», bramarbasierte er, könnten die Lage nicht beurteilen, «das ist Sache der Militärs». Am 4. Oktober 1912 rief er aus: «Die Orientfrage muss mit Blut und Eisen gelöst werden! Aber in einer für uns günstigen Periode! Das ist jetzt.»
    Der Kaiser träumte davon, daß sich die christlichen Balkanstaaten zu einem «4Bund» zusammenschließen würden, um dann «als 7te Großmacht» in das

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