Wilhelm II.
Sicherlich spielte bei ihm aber auch der Wunsch eine Rolle, den unberechenbaren Monarchen bis zum entscheidenden Moment aus Berlin fernzuhalten, um seine Kreise nicht stören zu lassen. Daß die Nordlandfahrt nur vorgegaukelt war, geht schon daraus hervor, daß die
Hohenzollern
, statt wie üblich bis zum Nordkap zu segeln, diesmal in Balholm im Sognefjord, also nur 100 Kilometer nördlich von Bergen, vor Anker ging. Von dort könne der Kaiser binnen22 Stunden in Cuxhaven beziehungsweise in zwei Tagen in Kiel zur Unterzeichnung der Mobilmachungsordre sein, hieß es.
Weit entfernt, an dem sich entfaltenden Drama unbeteiligt zu sein, erhielt der Kaiser in Balholm Dutzende von Depeschen aus Berlin, die ihn nicht nur auf dem laufenden hielten, sondern es ihm ermöglichten, aktiv in den Gang der Ereignisse einzugreifen. Auf Drängen des Kanzlers befahl Wilhelm seinem Sohn, den Mund zu halten, als der ungestüme Kronprinz mit seinen aggressiven Äußerungen drohte, Mißtrauen über die deutschen Absichten zu erwecken. Von Balholm aus warb Wilhelm aktiv um Bündnisse mit der Türkei, Bulgarien, Rumänien und Griechenland sowie um die Beteiligung Italiens in dem zu erwartenden Konflikt mit Rußland und Frankreich.
Angeblich hatten weder die deutsche Regierung noch das Hoflager in Balholm vorherige Kenntnis von dem Wiener Ultimatum, doch bereits vier Tage
vor
der Übergabe regte der Kaiser an, das Auswärtige Amt möge die Dampferlinien Hapag und den Norddeutschen Lloyd vertraulich von der drohenden Kriegsgefahr in Kenntnis setzen. Schon am 19. Juli notierte Admiral von Müller in sein Tagebuch: «S. M. in erheblicher Aufregung über die Folgen des am 23. von Österreich an Serbien zu stellenden Ultimatums.» Als der Text des bewußt unannehmbar gehaltenen Ultimatums auf der
Hohenzollern
bekannt wurde, jubelte der Kaiser: «Was, das ist doch einmal eine forsche Note.» Und als sich ein Einlenken Serbiens abzeichnete, rief er aus: «bravo! man hatte es den Wienern nicht mehr zugetraut! […] Die stolzen Slaven! Wie hohl zeigt sich der ganze sog. Serbische Großstaat, so ist es mit allen Slavischen Staaten beschaffen! Nur feste auf die Füße des Gesindels getreten!» Daß diese Randbemerkung nicht als Erleichterung über die Vermeidung eines großen Krieges gedeutet werden kann, zeigt der Befehl, den der Oberste Kriegsherr just an diesem Tag dem Flottenchef von Ingenohl erteilte: Er müsse mit der Zerstörung Tallinns und Libaus den Krieg gegen Rußland eröffnen. Ingenohl gelang es, die Bombardierung der russischen Kriegshäfen noch hinauszuschieben.
Zu diesem Zeitpunkt war Kaiser Wilhelm, mehr als es derKanzler oder die Diplomaten der Wilhelmstraße waren, von Kriegslust beseelt. Am 25. Juli stieß Bethmann Hollweg die verzweifelte Frage aus: «Was will der geschwollene Leutnant (W.II.) mit der Welt anfangen?» Da die deutsche Hochseeflotte im Süden Norwegens Manöver abhielt, während die Royal Navy zu einer großen Flottenrevue bei Southampton zusammengezogen war, lag Bethmann viel daran, das für den 27. Juli geplante Auseinandergehen der englischen Schiffe nicht durch eine vorzeitige Rückführung der kaiserlichen Marine zu stören. Aber sein Kalkül wurde durch die Aufgeregtheit des Obersten Kriegsherrn durchkreuzt, der in Balholm am Morgen des 25. Juli die sofortige Heimkehr seiner Flotte befahl. Die Bitte des Reichskanzlers, es müsse doch vermieden werden, durch einen solchen Schritt die britische Kriegsmarine vorzeitig in Alarmbereitschaft zu versetzen, löste bei Wilhelm II. eine wütende Tirade aus. Das Telegramm des «
Civil
kanzlers» sei «unerhört!» und eine «Unglaubliche Zumuthung!» schimpfte er. Die serbische Mobilmachung «
kann
Mobilmachung Rußlands nach sich ziehen;
wird
Mobilmachung Österreichs nach sich ziehen! In diesem Fall muß ich meine Streitmacht zu Lande und zu Wasser
beisammen
haben. In der Ostsee ist kein einziges Schiff!! […] Wenn Rußland mobil macht muß meine Flotte schon in [der] Ostsee sein also fährt sie nach Haus!» In der Tat segelte die Royal Navy auf Befehl Churchills bei Nacht und ohne Lichter vom Ärmelkanal in schottisches Gewässer.
Nicht nur die kaiserliche Hochseeflotte, der Kaiser selbst beschloß am 25. Juli, die Rückfahrt nach Deutschland anzutreten. Auf der Heimreise zeigte sich Wilhelm weiterhin entschlossen, zumindest eine gewaltige Machtverschiebung «am Balkan und in Europa» zugunsten der Mittelmächte durchzusetzen. «Österreich muß auf dem
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