Wilhelm II.
Balkan präponderant werden den Anderen kleineren gegenüber auf Kosten Rußlands; sonst giebts keine Ruhe», schrieb er. Schlichtungsvorschläge wies er von sich, und als der russische Außenminister mit Krieg drohte, falls Österreich in Serbien einmarschierte, reagierte Wilhelm achselzuckend mit der Bemerkung: «na denn zu!»
Noch auf der Seefahrt nach Kiel schien der Kaiser den Kontinentalkriegherbeizuwünschen. Um so verwunderter waren die Männer seiner Umgebung daher, als er am Abend des 26. Juli der Kaiserin telegraphierte, er hoffe bald zum gemeinsamen Sommerurlaub zu ihr nach Wilhelmshöhe kommen zu können. Überhaupt sollten die nächsten Tage von schwankender Unsicherheit gekennzeichnet sein, und der Grund dafür ist in der Haltung Großbritanniens zu suchen.
Als die
Hohenzollern
am 27. Juli in Kiel anlegte, war der Kaiser noch dermaßen kriegerisch gestimmt, daß sogar die Admirale den Kopf schüttelten. Seinen Befehl, die östliche Ostsee abzusperren, hielten Tirpitz und Capelle für «militärischen Unsinn» und «krankhaft». «Jetzt spielt er Soldaten!» riefen sie entsetzt. Wilhelm seinerseits war empört über die Bitte des Kanzlers, er möge statt nach Berlin nach Potsdam fahren, da die Demonstrationen, die bei seinem Erscheinen in der Hauptstadt zu erwarten seien, als Kriegswunsch gedeutet werden könnten, während seine Politik doch darauf gerichtet sei, Rußland «rücksichtslos unter allen Umständen vor der Welt ins Unrecht» zu setzen. «Das wird immer toller», klagte der Kaiser verständnislos. «Jetzt schreibt mir der Mann sogar vor, daß ich mich meinem Volk nicht zeigen darf.» Während der Vorträge, die ihm Bethmann, Moltke und Admiralstabschef von Pohl bei der Ankunft im Neuen Palais hielten, gab er sich aggressiv: Es sei noch zu früh, dem Zaren eine der im Auswärtigen Amt entworfenen Depeschen zu schicken; die Österreicher sollten ein großzügiges Kompensationsangebot an die Italiener machen, damit auch sie in den Krieg einträten; der britische Vorschlag einer internationalen Konferenz sei abzulehnen. Das Fazit der Immediatvorträge hielt Müller in den Worten fest: «Ruhige Haltung, Rußland sich ins Unrecht setzen lassen, dann aber Krieg nicht scheuen.» Kriegsminister von Falkenhayn erfuhr unter der Hand, daß man beschlossen habe, die Sache durchzufechten, «koste es, was es wolle».
Bislang war der Kaiser davon ausgegangen, daß sich England – gelänge es nur, Rußland als Störenfried darzustellen – aus dem Krieg heraushalten würde. Um diese Illusion aufrechtzuerhalten, hatte der Kanzler dem Monarchen die mahnenden DepeschenLichnowskys in abgeschwächter Form vorgelegt. Doch am 27. Juli traf aus London eine Meldung ein, die so gravierend war, daß sie dem Obersten Kriegsherrn nicht vorenthalten werden konnte: Sir Edward Grey, so berichtete Lichnowsky, habe die serbische Antwort auf das Ultimatum für so nachgiebig befunden, daß sich Österreich und Deutschland ins Unrecht setzen würden, sollten sie auf Verhandlungen mit Belgrad nicht eingehen. Lichnowskys Depesche wurde dem Kaiser am Morgen des 28. Juli vorgelegt. Erstmals kamen ihm Bedenken über den eingeschlagenen Kurs.
Angesichts der serbischen Fügsamkeit, so meinte Wilhelm nun, falle jeder Kriegsgrund gegen Serbien fort. Statt dessen solle Österreich-Ungarn Belgrad als Faustpfand besetzen, bis seine Forderungen restlos erfüllt seien. In dem Glauben, die internationale Krise sei damit überwunden, wollte er sogar seine Urlaubspläne wieder aufnehmen. Ungehalten klagte er darüber, daß ihn Wien seit Wochen über seine Absichten im dunkeln gelassen habe. Dabei durchschaute der Monarch die Machinationen seiner eigenen Regierung nicht. Seinen Halt-in-Belgrad-Vorschlag leitete Bethmann entstellt und verspätet nach Wien weiter, so daß die österreichische Kriegserklärung an Serbien nicht mehr zu verhindern war. Zudem machte der Kanzler in seinen Instruktionen an den Wiener Botschafter Tschirschky deutlich, daß Deutschland Österreich unter keinen Umständen zurückhalten wolle. So verlief die Schlichtungsaktion des Kaisers im Sande, zumal ihn die Generäle bald wieder auf ihren Kriegskurs einschwören konnten. Am Abend des 28. Juli hatte ihn Falkenhayn bei einem Besuch im Neuen Palais noch fassungslos vorgefunden. «Er hält wirre Reden, aus denen nur klar hervorgeht, daß er den Krieg jetzt nicht mehr will und entschlossen ist, um diesen Preis selbst Österreich sitzen zu lassen.» Der
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