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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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angenommen wurde, nicht wahr?
    – Vier oder fünf Monate vorher, wenn ich nicht irre, sagte mein Bruder.
    – Die beiden Tatsachen stehen also in gar keinem Zusammenhange?
    – Nein.
    – Hat Fräulein Myra von dieser Absicht Wilhelm Storitz’ jemals etwas erfahren?
    – Ich glaube nicht.
    – Und hat er seither keine Schritte unternommen?…
    – Niemals. Er wird wohl verstanden haben, daß er nichts mehr zu erwarten hat.
    – Warum nicht? Hat er keinen guten Ruf?
    – Nein. Wilhelm Storitz gilt als eine Art Original; er führt eine ziemlich geheimnisvolle Existenz und lebt ganz zurückgezogen…
    – In Ragz?
    – Ja, in Ragz, in einem einsam gelegenen Hause am Tököly-Wall, in das niemand Einlaß erlangt. Man hält ihn mit einem Wort für einen nicht ganz normalen Menschen. Auch ist er ein Deutscher und dieser letztere Grund genügte, um die Weigerung Dr. Roderichs zu motivieren, denn der Ungar liebt die Vertreter der teutonischen Rasse nicht sonderlich.
    – Bist Du ihm je begegnet?
    – Mehrmals, und eines Tages hat mich Hauptmann Roderich im Museum auf ihn aufmerksam gemacht, ohne daß er uns jedoch zu bemerken schien.
    – Befindet er sich augenblicklich in Ragz?
    – Das kann ich Dir nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich glaube, man hat ihn schon seit zwei oder drei Wochen nicht gesehen.
    – Es wäre besser, wenn er die Stadt verlassen hätte.
    – Genug! sagte Markus. Lassen wir den Mann in Ruhe; wenn es jemals eine Frau Wilhelm Storitz geben sollte, so kannst Du gewiß sein, daß es nicht Myra Roderich sein wird, weil…
    – Ja, unterbrach ich ihn, weil Myra Roderich Frau Markus Vidal sein wird!«
    Unser Spaziergang hatte uns immer längs des Kais bis zu der Schiffbrücke geführt, die das ungarische Ufer der Donau mit dem serbischen verbindet. Ich verfolgte einen bestimmten Zweck, indem ich immer noch vorwärts schritt. Seit einiger Zeit glaubte ich bemerkt zu haben, daß wir von einem Menschen gefolgt wurden, welcher sich ziemlich nahe an uns hielt, so daß es den Anschein hatte, als wolle er unser Gespräch belauschen. Ich mußte mich überzeugen, ob diese Vermutung richtig war.
    Wir blieben während einiger Minuten auf der Brücke stehen und bewunderten den majestätischen Strom, in dessen bewegten Wassern sich in dieser herrlichen Nacht die vielen Tausende von Himmelsgestirnen widerspiegelten und in den Wellen tanzenden Fischen mit leuchtenden Schuppen glichen. Ich benützte den kurzen Aufenthalt, um den Kai zu überwachen, auf dem wir hergekommen. In einiger Entfernung beobachtete ich einen Mann von mittelgroßer Gestalt. welcher. nach seinem schwerfälligen Gange zu schließen, schon ziemlich alt sein mußte.
    Übrigens blieb mir nicht viel Zeit zum Nachdenken. Markus hatte so viele Fragen zu stellen, ich mußte ihm Auskunft geben, über meine eigenen Angelegenheiten berichten, von unseren gemeinsamen Freunden erzählen und besonders von der Künstlerwelt, mit welcher ich sehr häufig zusammen kam. Wir sprachen viel von Paris, wo er nach seiner Hochzeit den ständigen Wohnsitz zu nehmen gedachte. Myra war sehr begeistert von dem Plane, so schien es; sie freute sich, Paris, das sie schon kannte, wiederzusehen, am Arme des Gatten wiederzusehen.
    Ich teilte Markus mit, daß ich im Besitze sämtlicher Papiere sei, um die er mich in seinem letzten Briefe gebeten. Er brauchte sich nicht zu sorgen: die Dokumente, die zur großen Reise für die Lebensdauer erforderlich sind, waren in Ordnung; nichts fehlte.
    Immer kehrte das Gespräch zu dem Sterne erster Größe, der strahlenden Myra, zurück – so wie sich die Spitze der Magnetnadel immer dem Pole zukehrt. Markus wurde nicht müde, von ihr zu erzählen und ich wurde nicht müde, ihm zuzuhören. Schon so lange hatte er mir alles sagen wollen…. Aber ich mußte der Vernünftige sein, sonst hätte unser Gespräch bis zum Morgengrauen gewährt.
    Wir traten den Rückweg ins Hotel an. Ehe ich eintrat, warf ich noch einen forschenden Blick zurück nach der Richtung, aus der wir gekommen. Der Kai war vollständig menschenleer. Der Verfolger war verschwunden – falls es ein Verfolger und nicht einzig die Ausgeburt meiner Phantasie war.
    Um halb elf Uhr waren Markus und ich in unseren Zimmern im Hotel Temesvár. Ich legte mich zu Bette und schlief augenblicklich ein….
    Plötzlich fuhr ich in die Höhe…. Träumte ich?… War es ein Alp?…
    Jene schrecklichen Worte, die ich an Bord der »Dorothea« zu vernehmen geglaubt, die Markus und Myra Roderich

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