Wilhelm Storitz' Geheimnis
begab sich in sein Zimmer zurück und ich wollte eben fort gehen, als Hauptmann Haralan ganz unerwartet erschien. Ich war sehr erstaunt darüber, denn unserer Verabredung gemäß sollten wir uns heute nicht sehen.
»Sie! rief ich freudig aus. Mein lieber Hauptmann, das nenne ich eine angenehme Überraschung!«
Irrte ich mich vielleicht? Es wollte mir scheinen. daß Hauptmann Haralan sehr besorgt aussah. Er antwortete nur kurz:
»Lieber Vidal, mein Vater erwartet Sie zuhause. Er hat mit Ihnen zu sprechen und läßt Sie bitten, bald zu kommen!
– Ich stehe zu Ihrer Verfügung«, antwortete ich, ziemlich bestürzt, beunruhigt sogar, ohne den Grund zu wissen.
Hauptmann Haralan sprach kein Wort, während wir, Seite an Seite, den Batthyány-Kai hinab schritten. Was war denn vorgefallen und welche Mitteilungen konnte mir Dr. Roderich zu machen haben? Handelte es sich um Markus’ Angelegenheiten….
Als wir ankamen, führte uns der Diener sofort in das Arbeitszimmer des Doktors.
Frau und Fräulein Roderich waren ausgegangen und Markus wollte sie wahrscheinlich auf ihrem Morgenspaziergang begleiten.
Dr. Roderich war allein in dem Gemache; er saß vor seinem Schreibtisch und als er sich uns zuwandte, bemerkte ich auch in seinem Gesichte den sorgenvollen Ausdruck, der mir an Hauptmann Haralan aufgefallen war.
»Irgend etwas ist geschehen, dachte ich, aber Markus wußte gewiß nichts davon, als ich ihn heute früh sprach.«
Ich nahm dem Doktor gegenüber in einem Fauteuil Platz, während Hauptmann Haralan stehen blieb und sich auf den Kamin stützte. Angstvoll erwartete ich, was mir Dr. Roderich zu sagen hatte.
»Vor allem, Herr Vidal, sagte er, danke ich Ihnen für Ihr Kommen.
– Ich stehe ganz zu Diensten, Herr Roderich, erwiderte ich.
– Ich möchte mit Ihnen in Haralans Gegenwart reden.
– Handelt es sich um Markus’ Heirat mit Fräulein Myra?
– Ja.
– Sie haben mir wohl etwas Ernstes mitzuteilen.
– Ja und nein, antwortete der Doktor. Wie dem auch sei, weder meine Frau und Tochter, noch Ihr Bruder wissen darum. Ich halte es für besser, sie über das, was ich Ihnen anvertrauen will, in Unwissenheit zu lassen. Sie werden ja selbst beurteilen können, ob ich recht oder unrecht handle.«
Unwillkürlich suchten meine Gedanken einen Zusammenhang zwischen dieser Eröffnung und der Begegnung herzustellen, die sich vor dem ruinenhaften Hause des Tököly-Walles abgespielt hatte.
»Am gestrigen Nachmittag, nahm der Doktor das Wort – meine Frau und Tochter waren nicht zuhause – meldete mir der Diener während meiner Ordinationsstunde einen Besuch an, den ich lieber nicht empfangen hätte. Dieser Besucher war – Wilhelm Storitz…. Aber es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß dieser Deutsche…?
– Ich bin über alles unterrichtet, sagte ich.
– Gut, dann wissen Sie also, daß vor ungefähr sechs Monaten – lange bevor die Bewerbung Ihres Bruders angenommen worden ist – Wilhelm Storitz die Hand meiner Tochter begehrte. Nachdem ich mich mit meiner Frau und meinem Sohne beraten, welche meine Abneigung einer derartigen Heirat gegenüber teilten, ließ ich Wilhelm Storitz wissen, daß er sich keine Hoffnungen machen könne. Anstatt sich diese Abweisung zu Herzen zu nehmen, wiederholte er seine Werbungen in den formellsten Ausdrücken, worauf er eine nicht minder formelle Antwort erhielt, die ihm ein für allemal jede Hoffnung abschneiden mußte.«
Während Dr. Roderich sprach, schritt Hauptmann Haralan unruhig im Zimmer auf und ab und blieb manchmal an einem der Fenster stehen, durch die man den Tököly-Wall überblicken konnte.
»Herr Roderich, sagte ich, ich wußte von dieser Angelegenheit, auch daß sie sich vor der Bewerbung meines Bruders abgespielt hat.
– Fast drei Monate vorher, Herr Vidal.
– Und Wilhelm Storitz ist, fuhr ich fort, nicht deshalb abgewiesen worden, weil Markus schon erklärter Bräutigam war, sondern weil diese Heirat überhaupt nicht nach Ihrem Sinne war?
– So ist es. Wir hätten niemals zu einer solchen Verbindung, die uns in keiner Hinsicht passend erschien unsere Zustimmung gegeben und auch Myra hätte sich einem derartigen Ansinnen energisch widersetzt.
– Hat die Persönlichkeit oder die Stellung Wilhelm Storitz’ Sie zu diesem Entschlusse bewogen?
– O, er ist wahrscheinlich sehr gut gestellt, antwortete Dr. Roderich. Man nimmt an, daß sein Vater ihm ein beträchtliches Vermögen hinterlassen habe, das er seinen glücklichen Erfindungen verdankte.
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