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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Stimme, nachdem die letzte Strophe des »Liedes vom Hasse« gesungen war.
    Und dann… ich habe es mit diesen meinen eigenen Augen gesehen und Hunderte der anwesenden Gäste waren Zeuge dessen, das nicht möglich schien….
    Das auf dem Tischchen liegende Brautbukett wurde plötzlich emporgenommen, zerrissen, so daß die armen Blüten wie von Füßen zerstampft aussahen!… Im nächsten Augenblicke bedeckten die Fetzen des zerrissenen Ehekontraktes den Boden!…
    Ein tödlicher Schrecken erfaßte alle Gemüter! Jedes wollte den Schauplatz so fürchterlicher Ereignisse fliehen. Ich fragte mich immer wieder, ob ich auch im Vollbesitze meiner Vernunft, ob diesen unerhörten Vorkommnissen Glauben beizumessen sei!
    Hauptmann Haralan trat auf mich zu und sagte mir zornesbleich:
    »Das ist Wilhelm Storitz’ Machwerk!«
    Wilhelm Storitz?… Hatte Haralan den Verstand verloren?…
    Wenn nicht er, dann war ich auf dem besten Wege dazu! Ich war wach, ich träumte nicht, trotzdem sah ich, jetzt, in diesem Augenblicke, mit diesen meinen eigenen Augen, wie der Brautkranz von dem Kissen, auf dem er ruhte, von unsichtbaren Händen aufgehoben wurde, durch den Saal schwebte, die Galerie durchflog und zwischen den Bäumen des Gartens verschwand!…
    »Das ist zu viel!…« rief der Hauptmann, seiner selbst nicht mächtig’ er stürzte aus dem Saal, durcheilte die Halle und raste den Tököly-Wall entlang.
    Ich versuchte, ihm zu folgen.
    So rannten wir, einer hinter dem anderen, bis zum Hause des Wilhelm Storitz, dessen Fenster im Auslug nach wie vor erleuchtet war. Der Hauptmann rüttelte mit aller Kraft an der Klinke des Gittertores. Ohne recht zu wissen, was ich tat, vereinte ich meine Anstrengungen mit den seinigen. Aber das Schloß war fest gefügt, es ließ sich nicht erbrechen. Kaum, daß es unseren vereinten Bemühungen etwas nachgab.
    Wir mühten uns schon geraume Zeit vergeblich ab und das dadurch gesteigerte Gefühl ohnmächtiger Wut beraubte uns um den letzten Rest klaren Verstandes….
    Da drehte sich die Türe langsam in ihren Angeln….
    Hauptmann Haralan hatte sich augenscheinlich getäuscht, als er Wilhelm Storitz beschuldigte…. Wilhelm Storitz konnte sein Haus nicht verlassen haben, da er uns selbst die Türe öffnete, in eigener Person vor uns stand.
VIII.
    Schon in den frühesten Tagesstunden hatte sich das Schreckensgerücht von den unheimlichen Vorfällen der letzten Nacht im Hause des Doktors in der Stadt verbreitet. Zunächst – wie ich es nicht anders erwartet hatte, war man allgemein der Meinung, daß es sich um ein übernatürliches Phänomen handle. Und doch hatte sich alles sehr greifbar vor aller Augen abgespielt – eine zufriedenstellende Erklärung konnte freilich kein Mensch dafür finden.
    Ich brauche nicht zu erwähnen, daß das Fest nach der Schreckensszene ein vorzeitiges Ende fand. Markus und Myra schienen ganz verzweifelt. Das Brautbukett zermalmt, der Ehekontrakt zerrissen, der Brautkranz vor ihren Blicken entführt!… Und alles kurz vor der Hochzeit…. Ein böses Omen!…
    Während des Tages sammelten sich zahlreiche Gruppen vor dem Hause des Doktors, vor den Fenstern des Erdgeschosses, die an diesem Tage nicht geöffnet worden waren. Das Volk, größtenteils Frauen, strömte in dichten Reihen dem Batthyány-Kai zu.
    Man besprach die letzten Ereignisse mit größter Lebhaftigkeit. Die einen äußerten die abenteuerlichsten Ideen, die andern warfen scheue Blicke auf das unheimliche Haus.
    Frau Roderich und ihre Tochter hatten an diesem Morgen von ihrem gewöhnlichen Spaziergang Abstand genommen. Erstere war gefährlich angegriffen von den Szenen der letzten Nacht und bedurfte der größten Ruhe und ihre Tochter leistete ihr Gesellschaft.
     

    Ein tödlicher Schrecken erfaßte alle Gemüter. (S. 95.)
    Um acht Uhr öffnete Markus die Türe meines Zimmers. Mit ihm traten Dr. Roderich und Hauptmann Haralan ein. Wir mußten alles besprechen, vielleicht einige notwendige Maßregeln ins Auge fassen und da war es besser, die Unterredung fand nicht in des Doktors Hause statt. Mein Bruder und ich hatten die Nacht zusammen verbracht; am Morgen war er dann zum Batthyány-Kai geeilt, um sich nach dem Befinden der beiden Damen zu erkundigen. Auf seinen Vorschlag begleiteten ihn dann der Doktor und Hauptmann Haralan zu mir.
    »Heinrich, begann Markus, ich habe Befehl gegeben, daß niemand vorgelassen werde Hier kann man unser Gespräch nicht belauschen, wir sind allein… ganz allein… in diesem

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