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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Roderich auch annahm, so waren damit alle Schwierigkeiten noch nicht gelöst, wie aus seiner Antwort erhellte:
    »Gut, mein lieber Vidal, sagte er, angenommen, ich gäbe zu, daß ein sogenannter ›Zauberer‹ sich in mein Haus geschlichen und uns alle mit seiner Ventriloquisten-Vorstellung erschreckt und empört habe – was ich nicht glaube! – Wie erklären Sie dann den Vorgang mit Brautbukett und Kontrakt, wie den Raub des Kranzes durch unsichtbare Hände?«
    Und er hatte Recht; daß diese Vorgänge auf die Geschicklichkeit eines Taschenspielers zurückzuführen seien, dies zu glauben verweigerte die Vernunft den Gehorsam.
    Und dennoch – es gibt ja so verblüffend geschickte Taschenkünstler.
    Aber Hauptmann Haralan fügte hinzu:
    »Sprechen Sie doch, mein lieber Vidal; ist das immer Ihr vielgenannter Ventriloquist, welcher das Bukett zerstört, den Kontrakt in tausend Stücke zerrissen, den Brautkranz aufgehoben, durch die Luft getragen und wie ein Räuber entführt hat?«
    Ich antwortete nicht.
    »Oder behaupten Sie vielleicht, fuhr er, erregter werdend, fort, daß wir alle Opfer einer Illusion geworden sind?«
    Nein, die Annahme einer Täuschung war ganz ausgeschlossen, nachdem sich alles vor den Blicken von mehr denn hundert Personen abgespielt hatte.
    Nach einigen Minuten des Schweigens, das ich nicht zu unterbrechen versuchte, sagte der Doktor:
    »Wir müssen die Sache nehmen, wie sie ist und nicht versuchen, uns darüber hinweg zu täuschen. Wir stehen Tatsachen gegenüber, die keine natürliche Erklärung zulassen und dennoch nicht zu leugnen sind. Trotzdem wollen wir – vom Standpunkte der Realität ausgehend – herauszufinden versuchen, ob nicht irgend jemand, ein Feind, Interesse daran gehabt haben könnte, dieses Verlobungsfest zu stören?«
    Das hieß, der Angelegenheit von der richtigen Seite beikommen!
    »Ein Feind?… rief Markus, ein Feind Ihrer Familie und der meinigen? Kennen Sie einen solchen?
    – Ja, sagte Hauptmann Roderich. Derjenige, welcher vor Ihnen als Bewerber um die Hand meiner Schwester aufgetreten ist.
    – Wilhelm Storitz?
    – Wilhelm Storitz.«
    Jetzt wurde Markus über alles aufgeklärt, was wir bisher vor ihm verheimlicht hatten. Dr. Roderich erzählte ihm von dem letzten Besuch Wilhelm Storitz’ vor wenigen Tagen und seiner neuerlichen Werbung. Mein Bruder erfuhr nun die kategorisch verneinende Antwort des Doktors und die von seinem Rivalen gegen dessen Familie geschleuderten Drohungen, die bis zu einem gewissen Grade den Verdacht rechtfertigten, Wilhelm Storitz habe in irgend einer Weise an den Vorkommnissen der letzten Nacht teilgenommen.
    »Und davon wußte ich bis heute nichts!… rief Markus. Erst jetzt, wo Myra bedroht ist, erfahre ich davon!… Nun gut, ich werde diesen Menschen zu finden wissen und dann…
     

    Und nun erfuhr Herr Stepark alles Nötige. (S. 108.)
     
    – Überlassen Sie diese Sorge uns, sagte Hauptmann Haralan. Es ist meines Vaters Haus, das er durch seine Gegenwart geschändet hat….
    – Und es ist meine Braut, welche beleidigt worden ist«, fiel ihm Markus ins Wort, welcher seiner selbst nicht mehr Herr war.
    Die zornige Entrüstung der beiden kannte keine Grenzen. Daß Wilhelm Storitz die Absicht hegte, seine Drohungen wahr zu machen und sich an der Familie Roderich zu rächen, schien mir vollkommen glaublich. Aber daß er an den Vorkommnissen des gestrigen Abends beteiligt gewesen sei, sogar persönlich eine Rolle gespielt habe, schien mir unmöglich anzunehmen. Man konnte ihn nicht auf den bloßen Verdacht hin beschuldigen und ihm sagen: »Sie haben sich gestern zu den geladenen Gästen hereingeschlichen! Sie haben das ›Lied vom Hasse‹ gesungen und uns damit beleidigt! Sie haben das Brautbukett und den Kontrakt zerrissen. Sie haben den Kranz geraubt!« – Es hatte ihn ja kein Mensch gesehen!
    Hatten wir ihn denn nicht in seinem Hause angetroffen? Hatte er uns nicht selbst die Gittertüre geöffnet? Es ist ja wahr, er hatte uns geraume Zeit warten lassen, auf alle Fälle genügend lange, um es sich zu ermöglichen, den Weg vom Hause Roderich bis zu seinem eigenen zurückzulegen; aber wie hätte er dies bewerkstelligen können, ohne vom Hauptmann Haralan oder von mir bemerkt worden zu sein?
    Dies wiederholte ich immer wieder in der Hoffnung, Markus und der Hauptmann würden die Richtigkeit meiner Bemerkungen einsehen, deren Logik Dr. Roderich anerkannte. Aber ihre Erregung war zu groß, um mir Gehör zu schenken; sie wollten sich

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