Wilhelm Storitz' Geheimnis
Zimmer.«
Welche Veränderung war mit meinem Bruder vorgegangen! Sein gestern noch so strahlend glückliches Gesicht war eingefallen und totenbleich. Er schien mir noch mehr niedergedrückt, als es die allerdings sehr traurigen Verhältnisse erfordert hätten.
Dr. Roderich war bemüht, seiner Erregung Herr zu werden, seinem Sohn hingegen sah man den Sturm der Leidenschaft im Innern an den aufeinander gepreßten Lippen und den wild flackernden Augen an.
Ich nahm mir fest vor, meine Kaltblütigkeit nicht zu verlieren.
Meine erste Sorge war natürlich, mich nach dem Ergehen der Damen zu erkundigen.
»Auf beide haben die Ereignisse von gestern abend einen erschütternden Eindruck gemacht, antwortete der Doktor; sie haben dringend einige Tage absoluter Ruhe nötig. Aber Myra, obgleich sie zuerst fassungslos war, nimmt jetzt allen Mut zusammen und trachtet nach Kräften, die schwer leidende Mutter zu beruhigen. Hoffentlich entschwindet das Bild dieser fürchterlichen Nacht bald unserer Erinnerung, vorausgesetzt, daß diese unheimlichen Vorgänge keine Wiederholung finden….
– Sie fürchten eine Wiederholung? sagte ich. Ich glaube nicht, daß derartiges zu erwarten ist! Weil die äußeren Umstände, unter welchen sich diese unerklärlichen Phänomene – ich kann das Vorgefallene nicht anders bezeichnen – ereignet haben, sich nicht mehr wiederholen werden.
– Wer weiß! meinte Dr. Roderich; wer weiß! Die Hochzeit muß so bald als möglich gefeiert werden, denn nach all den Drohungen, die ich anhören mußte…«
Er sprach den Satz dessen Sinn Hauptmann Haralan und mir nur zu verständlich war, nicht zu Ende; Markus, welcher von Wilhelm Storitz’ letzten Aufdringlichkeiten nichts wußte, schien die Schlußworte des Doktors überhört zu haben.
Hauptmann Haralan hatte entschieden seine eigene Meinung, er hüllte sich aber in Stillschweigen und schien mein Gutachten über die Vorfälle der Schreckensnacht abwarten zu wollen.
»Herr Vidal, fragte nun auch Herr Roderich, was halten Sie von der Sache?«
Ich hielt es für angezeigt, die Rolle des Skeptikers zu spielen, welcher all das Seltsame, dessen Zeugen wir waren, nicht ernst nimmt. Es war besser, ich gab mir den Anschein, nichts Unerklärliches an der Sache zu finden, gerade und trotz ihrer Unerklärlichkeit, wenn ich dieses Wort gebrauchen darf. Eigentlich brachte mich des Doktors Frage in Verlegenheit.
»Herr Roderich, sagte ich, ich finde »die Sache’, wie Sie sagen, ist im Grunde nicht der Mühe wert, sich lange dabei aufzuhalten. Wer weiß, ob wir nicht die Opfer irgend eines Spaßvogels geworden sind? Vielleicht hat sich ein Zauberkünstler unter Ihre Gäste geschlichen und uns den schlechten Streich gespielt und das Programm des Abends um eine Nummer, in der einem Ventriloquisten eine Rolle zufiel, verlängert…. Sie wissen, welche Vollendung diese Kunst heutzutage erreicht hat….«
Hauptmann Haralan wandte sich um und bohrte seine Augen in die meinen, um meine innersten Gedanken zu lesen. Sein Blick bedeutete zweifellos:
»Wir sind nicht zusammengekommen, um solch kindische Erklärungen anzuhören.«
Dr. Roderich antwortete:
Zahlreiche Gruppen sammelten sich vor dem Hause. (S. 96.)
»Entschuldigen Sie, Herr Vidal, aber ich kann unmöglich an ein Taschenspielerkunststück denken….
– Doktor, sagte ich, ich wüßte keine andere Erklärung dafür abzugeben… außer man nimmt – dessen weigere ich mich aber für meine Person entschieden – die Einwirkung übernatürlicher Kräfte an….
– Nein, es können nur natürliche Kräfte sein, sagte Hauptmann Haralan, zu deren Erklärung uns aber der Schlüssel fehlt.
– Aber warum – beharrte ich bei meiner Ansicht, könnte der Gesang, den wir gestern hörten und der unzweifelhaft von einer menschlichen Stimme herrührte, nicht auf den Versuch eines Ventriloquisten zurückzuführen sein?«
Dr. Roderich schüttelte den Kopf wie jemand, welcher sich unter keinen Umständen zu einer anderen Meinung bekehren lassen will.
»Ich wiederhole, sagte ich, daß ich es durchaus für keine Unmöglichkeit halte, daß ein frecher Eindringling mit der Absicht, den Patriotismus der Magyaren zu höhnen, die nationale Ehre zu beleidigen, sich Zutritt in den Saal verschafft und dieses in Deutschland entstandene ›Lied vom Hasse‹ gesungen hat.«
Schließlich war dies eine ganz annehmbare Hypothese, so lange man das übernatürliche Moment als ausgeschlossen betrachten wollte. Aber wenn sie Dr.
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